KOMMENTAR: Schulden bis zum Anschlag
■ Auch im Nachtragshaushalt bleiben Riesenlöcher
Der Regierungschef wurde gestern deutlich — ganz gegen seine Art: Die Haushaltslage sei nicht nur problematisch, sondern dramatisch. Angesichts der geplanten Neuverschuldung in diesem Jahr darf das als milder Euphemismus eingestuft werden, zumal die Schwierigkeiten erst so richtig anfangen. Noch finanziert das Land Berlin über 50 Prozent seiner Ausgaben mit Geldern aus Bonn. Mit dem Abbau der Berlinförderung und der Bundeshilfe wird sich die Lage in den kommenden Jahren weiter zuspitzen. 1995 hält Finanzsenator Pieroth eine Deckungslücke von 20 Milliarden Mark nicht für ausgeschlossen, und auch in diesem Jahr ist der Haushalt trotz der hohen Verschuldung noch nicht gedeckt. Die Verschuldung bis an den Anschlag zu treiben, mag als mutiger Schritt verkauft werden — schließlich steht Berlin nicht schlechter da als die anderen armen Nachbarn. Konzepte zur anvisierten Angleichung der Lebensverhältnisse fehlen indes noch immer, und man hofft weiter auf Bonn. Immer noch ist völlig offen, ob der Bundesfinanzminister auch nur eine Mark mehr an Berlin zahlen will als die bisher zugesagte Milliarde. Auch die Steuerkraft wird sich binnen drei Jahren kaum verdoppeln lassen, zumal man vor einer Erhöhung der Gewerbesteuer zurückschrecken wird. Bleiben die Ausgaben der öffentlichen Hand. Abgesehen von der bereits beschlossenen Kürzung sollen die »Leistungsvorsprünge« gegenüber anderen Regionen überprüft werden. Kein Zweifel: Der ehemalige Westberliner öffentliche Dienst konnte sich im Schatten der Mauer aufblähen wie in keiner anderen deutschen Stadt. Der Senat will den Rotstift aber ausgerechnet zuerst im sozialen und Bildungsbereich ansetzen. Während sozialen Projekten das Aus droht, bleiben die überbesetzte Verwaltung und Polizei unangetastet. Liebgewordene Privilegien werden weiter gehegt, gespart wird ausgerechnet am sozialen Fundament. Die Überwindung der Teilung wird reduziert auf ein monetäres Problem — oder wie der Finanzsenator es sieht, auf eine »finanzpolitische Herausforderung«. Kordula Doerfler
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