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KOMMENTARVerantwortungsethik

■ Zum Streit um die chemotherapeutische Behandlung des Kindes Katharina Scharpf

Der Fall ist hochkompliziert. Die dreijährige Katharina leidet an einer Krankheit, die früher als unheilbar galt, an Leukämie. Der verantwortliche Arzt greift zu einer sehr harten, aber international anerkannten, zu der bislang einzigen erfolgreichen Behandlungsmethode, einer bestimmten Chemotherapie — Berufsethos und geltendes Recht machen diese Entscheidung für ihn zwingend. Die Eltern geben ihren Kopf nicht an der Krankenhaustür ab, unterschreiben das Kleingedruckte irgendwelcher Vollmachten nicht, sie entscheiden für ihre Tochter, gegen eine Behandlung, die ihnen fragwürdig, unmenschlich und brutal erscheint und erscheinen muß. Daneben agieren der Leiter eines Jugendamtes und ein Amtsrichter: Sie erfahren täglich, daß die Interessen des Vaters, der Mutter den Interessen des Kindes nur allzuoft entgegengesetzt sind. Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, jedes Kind als eigenes Rechtssubjekt zu schützen, es notfalls gegen die Eltern zu verteidigen, das Wohl des Kindes zu garantieren.

Die Qualen der jungen Eltern Hildegard und Alban Scharpf sind entsetzlich, die Situation der kleinen krebskranken Katharina ist erschütternd. Die Eltern versteckten sie vor dem Zugriff der Schulmedizin, setzen auf alternative Methoden, der Vater floh mit seiner Tochter über den Atlantik. Die Behörden hatten das Sorgerecht entzogen, wollten das Kind — auf Antrag des behandelnden Arztes — zwangsweise behandeln lassen. Aber auch diese Akteure handeln verantwortungsethisch — nicht willkürlich. Sie sind fest davon überzeugt, das Leben von Katharina so — und nur so — zu retten.

Ich bin Vater eines behinderten Kindes. Ich habe mich genauso wie die Eltern Scharpf verhalten, andere Eltern ermuntert, so zu handeln. Für unsere epilepsiekranke Tochter haben wir vor 12 Jahren eine bestimmte Cortison-„Kur“ abgelehnt, jedes vierte der so behandelten Kinder starb damals an den Folgen dieser Therapie. Bis heute bekommt unsere Tochter kein einziges „hochwirksames Antiepileptikum“: Es macht sie schläfrig, dämpft ihre Ausdrucksmöglichkeiten, die „Nebenwirkungen“ erscheinen uns größer als die positiven Wirkungen. Aber: Wir würden unserer Tochter sofort ein entsprechendes Mittel geben lassen, wenn ihr mit milderen Methoden nicht zu helfen wäre, wenn sie in einen status epilepticus geriete.

Und vor dieser Frage stehen Katharinas Eltern. Ihr Kind hat Leukämie. Diese Krankheit ist tatsächlich nur so zu behandeln, wie es die Ärzte der Universitätsklinik Ulm versucht haben. Die Verantwortung kann den Eltern niemand abnehmen, sie ist unteilbar. Aber sie müssen sich auch über die Grenzen ihrer verantwortungsvoll zu treffenden Entscheidungen klar sein.

Selbstverständlich mußte diesen Eltern das Sorgerecht zurückgegeben werden. Was jetzt fehlt, ist ein Arzt oder eine Ärztin, die die Methoden der normalen und der alternativen Medizin beherrschen, die das Vertrauen zwischen Arzt, Patientin und Eltern wiederherstellen. Sie müssen und können Hildegard und Alban Scharpf dabei helfen, die für ihre Tochter notwendigen Entscheidungen richtig zu treffen. Götz Aly

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