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KOMMENTARMehr Demokratie wagen

■ Neue Verfassung ist mehr als eine Pflichtübung

Im Untergang der DDR entfaltete sich die umwälzende Kraft staatsferner sozialer Gruppen, ihre Fähigkeit in spontaner Organisation mit friedlichen Mitteln einen nahezu perfekten Überwachungsstaat in die Knie zu zwingen. Der geballten politischen Impotenz der Partei setzten sie das organisierte Chaos der Runden Tische entgegen. Dies und ihr radikaler Rekurs auf die Bürgerrechte waren die Grundlage der Vorstellung einer zivilen Gesellschaft, wie sie Eingang in die Diskussion um die ersten freien Verfassungen der DDR und Ost-Berlins fand. Von diesen Normenkatalogen ist zunächst sowenig übriggeblieben wie von den ihnen zugrundeliegenden staatskritischen Impulsen. Statt ihren innovativen Einfluß auf das westliche Gesellschaftsgefüge samt seines verkrusteten ideologischen Überbaus auszudehnen, wurden sie absorbiert durch die normative Kraft der faktischen Notlage, in die sich die meisten Ostdeutschen mit der Einführung der Marktwirtschaft geworfen sahen. Die Verfassungsdiskussion gibt Anlaß, an den Herbst 89 anzuknüpfen. Nicht als Reminiszenz, sondern als Antwort auf die strukturellen Defizite, die der westlichen Parteiendemokratie nicht erst seit der Vereinigung innewohnen. Volksbefragung und Volksentscheid sind Möglichkeiten, die Distanz zwischen Bürger und Staat zu überbrücken. Relevanter noch dürfte eine dezentrale Struktur der politischen Entscheidungsprozesse sein, die deren Wirkungskontrolle in dem regionalen oder kommunalen Gemeinwesen ermöglicht, das prägend für die politische Identität des einzelnen ist. Bürgerbewegungen, von etablierten Politikern gerne als primitive Vorformen von Parteien begriffen, sind vielmehr eine Antwort auf deren Disfunktion. Denn diese sind längst nicht mehr die Garanten politischer Willensbildungsprozesse. Die Verfassung privilegiert die Parteien hingegen noch immer und macht sie so zu reichlich alimentierten Zuwendungsempfängern. Das gilt es zu ändern. Dieter Rulff

Siehe Bericht auf Seite 24.

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