KOMMENTAR: Betteln für Brandenburg
■ Die Zweifel an der Fusion mit Brandenburg wachsen
Für einige Leute brächte eine Vereinigung von Berlin und Brandenburg auf alle Fälle Vorteile. Zum Beispiel für die Berliner Senatoren, die den Sprung in eine gemeinsame Landesregierung schaffen und sich an dem Titel und der Besoldungsstufe eines richtigen Ministers erfreuen könnten. Auf alle Fälle würden die Unternehmer profitieren. Sie hätten es nur noch mit einer Landesverwaltung zu tun und könnten sich Wege sparen. Aber auch die Naturschützer dürfen sich größere Chancen ausrechnen, eine Zersiedelung des Umlands zu verhindern.
Landauf und stadtab wirbt der Senat seit Monaten mit diesen Argumenten für die Vereinigung. Doch seit einigen Tagen klingen die Reden etwas vorsichtiger. Erstmals, so scheint es, hat Eberhard Diepgen die nüchternen Zahlen seiner Finanzexperten zur Kenntnis genommen: Eine Heirat macht das Paar nicht reicher, sondern ärmer. Und dieser Nachteil trifft alle Bürger.
Die Skepsis, die der Senat deshalb neuerdings zur Schau trägt, ist nicht frei von Taktik. Diepgen und Stolpe verbinden damit die Forderung nach zusätzlichen Finanzhilfen und spekulieren auf Sympathisanten in den westdeutschen Landeshauptstädten und in Bonn. Klappt die Operation Berlin-Brandenburg, könnte auch den anderen kränkelnden Kleinstaaten — Bremen und dem Saarland — der Weg in die Unselbständigkeit erleichtert werden. Gegner neuer Berlin-Privilegien gibt es aber auch: Wenn Berlin Sonderzuwendungen erhält, obwohl es kein Stadtstaat mehr ist, können Stuttgart, Frankfurt und München schlecht bescheiden bleiben.
Selbst wenn den Berlinern und Potsdamern die Betteltour gelingt, ist eines sicher: Sollte jemals ein gemeinsames Parlament in Potsdam zusammentreten, wird es der Schauplatz heftiger Verteilungskämpfe zwischen reichen Großstädtern und armen Provinzlern. 72 Jahre lang gingen Berlin und sein Umland getrennte Wege. Es gingen schon Wiedervereinigungen schief, die nach kürzerer Trennung verkündet wurden. Hans-Martin Tillack
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