KOMMENTAR: Pfeifen im Walde
■ Regierung und SPD sind sich einig über den Bürgerrechtsabbau
Gestern landete die Bundesregierung einen entscheidenden Schlag gegen Rauschgifthändler und andere Kriminelle. Zwar haben die Betreffenden nichts davon gemerkt, aber vielleicht sind sie ja auch gar nicht betroffen. Betroffen ist erst einmal das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland, das zur Zeit unter dramatischem Lobbyistenschwund leidet. Wie ein einsamer Rufer im Walde muß sich der FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch vorkommen, wenn er vor dem „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Formen der Organisierten Kriminalität“ als „brutalsten und am besten getarnten Angriff auf die Privatsphäre der Bürger seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges“ warnt. Eine bemerkenswerte Kritik eines Insiders, vor allem wenn man bedenkt, was in dieser Zeit alles versucht wurde.
Angefangen von der Schnüffelei zum Zwecke der Berufsverbote über die Staatsschutzgesetze gegen Andersdenkende bis hin zur Volkszählung: seit Verabschiedung des Grundgesetzes nagt der Staat an den geschützten Prinzipien. Endgültig über Bord geht mit dem gestern verabschiedeten Gesetz das 1946 von den Alliierten verfügte Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdienst. Die sogenannten „verdeckten Ermittler“, in den USA präzise „Undercoveragents“ genannt, sind nichts anderes als Geheimdienstler mit polizeilichen Befugnissen — in Deutschland zuletzt unter dem Namen Gestapo aufgetreten. Sicher, diesmal ist es etwas ganz anderes. Es geht schließlich nur gegen Rauschgifthändler und ähnliche Verbrecher, vielleicht noch gegen deren Verwandte, eventuell auch noch ihre Nachbarn, Freunde, Tresenbekanntschaften, Zugabteil-Mitbenutzer — aber das geht uns ja nichts an.
Dank dem Vorstoß der SPD-Rechtspolitiker für den „großen Lauschangriff“ kommt das Gesetz jetzt sogar noch als die moderate Variante daher. Schließlich kann man der Polizei auch nicht alles ablehnen, oder soll sie etwa der hochgerüsteten „OK“ weiterhin mit leeren Händen entgegentreten? „Wer Waffengleichheit zwischen dem Verbrechen und der Polizei verlangt“, hat ebenfalls Burkhard Hirsch dazu treffend bemerkt, „muß die Strafprozeßordnung und die Polizeigesetze nicht ändern. Er muß sie abschaffen, dieses lästige Gewirr von Rechten und Pflichten für Bürger und Staat, aus dem Täter und Rechtsanwälte ihren Nutzen ziehen, Täterschutz überall, wo es doch zuzupacken gilt. Der ,Große Bruder‘ steht an der Ecke. Bürger, schützt eure Verfassung.“ Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen