KOMMENTAR: Ermunterung tut not
■ Der Machtwechsel in Belgrad ist der Schlüssel für die Beendigung des Balkankrieges
Ermunterung tut not Der Machtwechsel in Belgrad ist der Schlüssel für die Beendigung des Balkankrieges
Noch ist der Hoffnungsstreifen für einen effektiven Waffenstillstand und für Verhandlungen im ehemaligen Jugoslawien schmal. Nach wie vor führt eine groteske Soldateska, sei es nun auf serbischer, kroatischer oder auch zunehmend muslimanischer Seite an den Fronten Bosnien-Herzegowinas einen unerbittlichen und grausamen Krieg. Berichte von muslimanischen Milizionären, die mit den abgeschlagenen Köpfen ihrer Gegner Fußball spielen, von serbischen Freischärlern, die den Abtransport von Babys aus einem zerbombten Krankenhaus verhindern, oder von kroatischen Extremisten, die grundsätzlich keine Gefangenen mehr machen, dienen den Propagandisten der jeweiligen Nationalismen als Nährboden für die Verbreitung von Haß. Angesichts dieser Dynamik fällt es den Regierungen in Zagreb und in Belgrad schwer, die Kontrolle über den Verlauf der Ereignisse zurückzugewinnen — sollten sie dies überhaupt wollen. Das vorläufige Scheitern des Waffenstillstandes in Sarajevo macht dies deutlich. Der Krieg hat rechtsfreie Räume geschaffen, die von den übelsten Teilen der bewaffneten Mächte auf ihre Weise genutzt werden.
Die Integrationskraft der Regierungen in Belgrad, Zagreb und Sarajevo ist zudem aus vielerlei Gründen beschränkt. Die kroatische Führung sieht sich einer stärker werdenden rechtsradikalen Strömung ausgesetzt, der es zunehmend gelingt, die Politik Tudjmans nachhaltig in Richtung Revanche gegen Serbien zu beeinflussen. Der Aktionsradius der bosnischen Führung ist so klein geworden wie das von ihr kontrollierte Gebiet. Doch lediglich das Regime von Milosevic ist unter dem Druck des Embargos der UNO und der inneren Opposition ins Wanken geraten. Aber gerade dieser Umstand läßt ein paar Hoffnungsfunken sprühen.
Noch ist Milosevic nicht gefallen. Die Berufung des serbischen Schriftstellers Dobrica Cosic — der sich kürzlich auf die Seite der Opposition geschlagen hat — zum Präsidenten des aus Serbien und Montenegro gebildeten neuen Jugoslawien erleichtert jedoch einen Übergang zu demokratischeren Verhältnissen und damit einer rationaleren Politik in Serbien. Auch daß Cosic, der auch von der Kirche unterstützt wird und der immer für friedliche Konfliktregelungsmechanismen in Ex-Jugoslawien eingetreten war, Neuwahlen angekündigt hat, weist darauf hin. Und auch darauf, daß der Abgang von Milosevic „sanft“ und ohne „Gesichtsverlust“ gestaltet werden soll. Schon jetzt scheint sicher, daß mit der Rückkehr des Thronfolgers Alexander (Ende des Monats?) eine neue Integrationsfigur gefunden ist, die auch gegenüber denjenigen Kräften in Armee und Bürokratie Autorität genießt, die dem Machtwechsel feindlich gegenüberstehen. Der von Milosevic zum Zwecke des eigenen Machterhalts geförderte Extremist und Kriegstreiber Seselj würde allerdings unter diesen Umständen rapide an Einfluß verlieren. Gerade deshalb sollte im Interesse aller die serbische Elite jetzt auch von außen ermuntert werden, auf dem eingeschlagenen Weg fortzuschreiten. Erich Rathfelder
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