KOMMENTAR: Selbstbedienung
■ Braucht das Parlament ein millionenschweres neues Domizil?
Sollte es noch eines Beweises bedurft haben für die Blindheit, mit der Politiker die seit längerem herrschende Politikverdrossenheit produzieren — das Berliner Parlament liefert ihn gerade. 136 Millionen Mark soll die Sanierung des ehemaligen Preußischen Landtags kosten, womöglich sind es gar 151 Millionen Mark, und mit weiteren Millionen für »Nachbesserungen« darf man rechnen. Und wofür? Für ein Prachtgebäude, das nach der Fertigstellung vermutlich von niemandem gebraucht wird. Denn ob das Parlament eines Bundeslandes Berlin-Brandenburg tatsächlich in Berlin sitzt oder doch eher in Potsdam, ist noch nicht entschieden. Zudem soll das Berliner Parlament ohnehin verkleinert werden. Wo sich der zusätzliche Platzbedarf herleitet, bleibt wohl das Geheimnis der Abgeordnetenhausverwaltung.
Man mag es noch gelten lassen, daß sich die Volksvertreter einer boomenden Metropole angemessen repräsentiert sehen wollen. In einem darbenden Bundesland wie Berlin war so eine Ausgabe bereits ein Skandal, als kurz nach der Maueröffnung darüber befunden wurde — nun aber erst recht. Zur Erinnerung: Wir befinden uns in den Haushaltsberatungen. Der Senat will die Öffnungszeiten für Kindertagesstätten verkürzen und die Kindergruppen vergrößern. Er will das Familiengeld streichen wie den Mietausgleich für Sozialmieter. BVG-Benutzer werden kräftig zur Kasse gebeten. Und demnächst steht eine Mieterhöhungswelle im Ostteil der Stadt an, die nicht zuletzt deshalb beschlossen wird, um die Landeskasse um einige hundert Millionen Mark zu entlasten. Wie wollen es die Abgeordneten diesen Mietern erklären, daß das Geld quasi in die Sanierung des neuen Landesparlaments gesteckt wird? Solange solche millionenteuren Prachtbauten aus der Landeskasse bezahlt werden können, besteht kein Grund für irgend jemanden sonst, seine Ansprüche zurückzustellen. Eva Schweitzer
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