KOMMENTAR VON CHRISTIAN FÜLLER ZU KATHOLISCHER KIRCHE UND SEXUELLEM MISSBRAUCH : Ein Fall für den Staatsanwalt
Wenn die deutschen Justizminister ein wenig Mumm in den Knochen hätten, dann würden sie jetzt ihre Ermittlungsbeamten losschicken. Sie würden in den Kirchenämtern der Republik die Personalakten jener Pfarrer konfiszieren, die Kindern sexuelle Gewalt angetan haben.
Die Justiz müsste das tun, um die Strafvereitelung zu unterbinden, welche die Täterorganisation Kirche gerade im großen Stil plant. Denn die Bischöfe haben bei diesem drängenden Thema erneut auf stur geschaltet – wiewohl sie umfassende Kooperation zur Aufklärung des Machtmissbrauchs an Kindern und Schutzbefohlenen in ihren Reihen versprochen hatten. Ja, sie hatten es sogar vertraglich vereinbart mit einem Forscher. Aus, vorbei – die Kirche macht, was sie will.
Kirchenakten zu beschlagnahmen, das ist nicht die Verfolgungsfantasie eines verspäteten Bismarckianers, der den Kulturkampf gegen den Katholizismus wieder aufnehmen will. Nein, es ist die logische Konsequenz aus dem Verhalten der Kirche: Wir wissen schon lange, dass in den Reihen der Kirche viele pädokriminelle Täter agieren. Aber wir wollen endlich wissen, wie viele Pädosexuelle es sind und wie sie vorgehen. Wie sie innerhalb der Institution gerügt, versetzt, aber nicht bestraft werden – um dann erneut Sexualverbrechen an Kindern zu begehen. Das wäre die große Chance der Missbrauchsstudie gewesen, die Christian Pfeiffer und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen mit der Bischofskonferenz und den Diözesen vereinbart hatten: dass man ein Täter-Institutionen-Profil des Missbrauchs bekommt – ein Riesenfortschritt in der Missbrauchsforschung.
Die Kirche hätte die unschätzbare Möglichkeit gewonnen, sich selbst zu verstehen – und Vertrauen bei den Menschen zurückzugewinnen. In der Kirche gibt es ein paar kluge Leute, die dazu bereit waren. Weil sie wissen, dass die Kirche, obwohl sie in der Krise steckt, spirituelle Angebote für die verwirrten Bewohner des 3. Jahrtausends bereithält, die wichtig sein können.
Aber es gibt eben auch reaktionäre Kräfte, die weiter Mittelalter spielen wollen. Sie haben die Aufklärung mit dem Argument hintertrieben, Personalakten seien vertraulich. Klar sind sie das, aber die Namen der Täter wollte ja auch niemand haben. Es ging nicht um Strafverfolgung, sondern um das Ausmaß und die Strukturen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Dabei handelt es sich um ein Verbrechen, das Menschen in ihrer Kindheit aus dem Gleichgewicht bringt und das immense Folgeschäden und -kosten für die Gesellschaft verursacht.
Was bei den Menschen zurückbleibt, ist Misstrauen in eine Institution, deren Kerngeschäft Vertrauen ist. Der barmherzige Orientierungsgeber Kirche hat ein schwarzes Loch in seinem Herzen.