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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON BARBARA DRIBBUSCH ZU DEN NEUEN WIRTSCHAFTSZAHLEN DES IW Negative Rhetorik zieht nicht mehr

Die Ungleichheiten haben sich zuletzt nicht verstärkt – die Ängste aber sind groß

Man kann dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) dafür danken, dass es am Montag mit einer Zahlensammlung aufwartete, die beweisen sollte: Es ist alles gut in Deutschland. Der Niedriglohnsektor, die prekären Arbeitsverhältnisse weiten sich nicht aus. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Die Zahlen sind nicht falsch, auch wenn das IW vorsichtshalber die Vermögensverteilung aussparte, weil sich gerade hier tiefe Ungleichheiten offenbart hätten. Es stimmt, dass viele Wirtschaftszahlen gut sind in Deutschland. Deswegen muss eine linke Politik im Bundestagswahlkampf ihre Rhetorik verändern. Das hat durchaus sein Gutes.

Es reicht nicht mehr für linke Politiker, sei es bei den Grünen, in der SPD und in der Linkspartei, sich auf die Negativ-Rhetorik zu verlassen nach dem Motto: „Es wird alles immer schlimmer“ oder „die Gesellschaft wird immer ungleicher“. Ganz so, als wünsche man sich geradezu, dass die Arbeitslosenzahlen steigen, weil das die eigene Position rechtfertige. Das Klischee der wachsenden „sozialen Kluft“ in der Gesellschaft wirkt abgenutzt. Die tiefsten Spaltungen verlaufen derzeit ohnehin jenseits der nationalen Grenze.

Die Ungleichheiten bei den Einkommen mögen sich zuletzt nicht verstärkt haben – die Ängste der Menschen aber sind groß. Und das ist der Punkt. Die Sorge, keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben, beschäftigt Millionen, und bestimmte Lebenssituationen wirken da geradezu exemplarisch. Eine Lohnstruktur etwa, die im Alter in den Sozialhilfe-Bezug zwingt, ist nicht akzeptabel. Selbst wenn ein Mindestlohn von 8,50 Euro kommt, er reicht für Alleinstehende nicht für eine auskömmliche Rente aus. Die Politik muss dieses Thema oben halten, auch wenn Rentenzuschüsse sehr umstritten sind. Gleiches gilt für die Pflegefrage. Viele Angehörige mit wenig Geld sind bekümmert darüber, dass die pflegebedürftigen Eltern nur notdürftig versorgt werden, und haben Angst vor dem eigenen Alter. Eine Erhöhung des Beitrags in der Pflegeversicherung ist fällig, auch wenn das für Unmut sorgt.

Sich von Negativrhetorik zu verabschieden und stattdessen unpopuläre Forderungen zu wagen – das bewiese politischen Mut im Bundestagswahlkampf. Und würde auch zu den guten Wirtschaftszahlen des arbeitgebernahen IW-Instituts passen. Jedenfalls, wenn man die Perspektive verschiebt.