piwik no script img

KOLONIALWAREN

■ „Alternative Kulturen in der Karibik“: ein Kolloquium am Lateinamerika-Institut

„Alternative Kulturen in der Karibik“ standen im Mittelpunkt einer interdisziplinären Tagung, die - organisiert von Ulrich Fleischmann (Berlin) und Thomas Bremer (Gießen) - am vergangenen Wochenende mit großer Resonanz am Lateinamerika -Institut der FU stattfand: über 40 Wissenschaftler und zahlreiche „einfache“ Zuhörer trafen sich, um neue Forschungsergebnisse der Karibistik zu diskutieren, einer Wissenschaft, die völlig aufgesplittert ist und in Deutschland noch immer keinen eigenen Lehrstuhl besitzt.

Alternative Kulturen in der Karibik bedeuten etwas anderes als Alternativkultur in Berlin. In einer Region, in der schon 25 Jahre nach Ankunft der Spanier alle Eingeborenen ausgerottet waren und wegen der arbeitsintensiven Zuckerrohrplantagen von Anfang an Sklaven aus Afrika verschleppt wurden, steht alternative Kultur immer für den Widerstand gegen den Versuch der Kolonialherren, ihre europäische Kultur mit Gewalt durchzusetzen.

Das betrifft vor allem die Sklaven. Schon früh ist es zu Aufständen gekommen; schon früh flohen die ersten Schwarzen, retteten sich als „marcons“ und „cimarrones“ in die unzugänglichen Berge und Wälder und errichteten eigene alternative Gemeinwesen. Und während die Schiffe, beladen mit den „Kolonialwaren“ Zucker, Rum, Früchten und Gewürzen, regelmäßig zurück nach Europa fuhren und dort die Seestädte reich werden ließen, organisierte sich eine zweite alternative Kultur, nämlich die der Freibeuter und Kaperer von Handelsschiffen.

Ein solcher Blick auf die „nicht-offizielle“ Geschichte der Kolonien hat in sehr direkter Weise mit der heutigen Suche nach einer eigenen kollektiven Identität zu tun und führte zwangsläufig zur Diskussion gegenwärtiger alternativer Kulturformen. Christian Habekost aus Mannheim, der auch die einzige Textsammlung zum Thema herausgebracht hat, berichtete engagiert von der „Dub Poetry“ auf Jamaica. In häufig kreolisiertem Englisch versuchen die Autoren, karibische Musikrhythmen in ihrer Lyrik nachzuahmen, richtig vorgetragen, sprengen diese Texte alle üblichen Hörgewohnheiten.

Carole Yawney aus Kanada wandte sich gegen die Trivialisierung und europäische Vereinnahmung der Rastafari -Kultur und deren Symbole und berichtete von ihrer Arbeit mit Rastafarai, die in Konflikt mit den kulturellen Normen Nordamerikas gekommen sind und in den Gefängnissen New Yorks und Torontos einsitzen.

Kulte, Karneval, religiöse Aktivitäten werden in einem veränderten Kontext plötzlich Momente des Zusammehalts von diskriminierten karibischen Einwanderern. Die „andere“ Kultur tritt aus ihrem lokalen Bereich heraus, verändert sich, wird städtisch und erreicht dabei häufig eine Verbindung unter den Menschen aus der Karibik, die zuvor durch soziale, politische und kulturelle Schranken, durch unterschiedliche Sprachen und Lebensweisen getrennt waren.

Zu einem der lebendigsten Vorträge wurde - neben dem von Manfred Kremser (Wien) über einen erst kürzlich „entdeckten“ religiösen Geheimkult, der plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit von St. Lucia rückte - ausgerechnet ein theoretischer: Thomas Bremer problematisierte die ganze Konzeption von „Alternativität“. Sehr plastisch zeigte er anhand der frühen Schriften des cubanischen Jahrhundertwende -Anthropologen Ortiz, wie die ganze lateinamerikanische Ethnologie zunächst aus der Kriminologie entstand. Ortiz bemühte sich darum, den „Betrug“ und die „Leichenschändung“ schwarzer Magier auszurotten, bevor er sie in einem langwierigen Bewußtwerdungsprozeß als eigene Kulturform verstand und als „afrocubanisches“ Erbe zu akzeptieren lernte.

Wird das „Anderssein“ nicht erst durch einen Blickwinkel bestimmt, der von einer europäischen „Normalität“ ausgeht? Am Ende der Tagung wurde ein „Gesellschaft für Karibikforschung“ gegründet und der Berliner Professor Ulrich Fleischmann zum Präsidenten gewählt. Nur der Senatsvertreter sah bei seinem Empfang etwas alt aus, als er den Wunsch auf ein Wiederkommen der Karibisten nach Berlin ausdrückte: Er wurde darauf aufmerksam gemacht, daß gerade das Lateinamerika-Institut immer wieder - auch von „seinem“ Senator - von der Schließung bedroht ist...

Max Meier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen