KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT ÜBER ÄLTER WERDENDASS WIR DAS NOCH ERLEBEN MÜSSEN. DER ZOMBIE RELIGION STEHT WIEDER AUF UND LÄSST SICH ALS POPSTAR FEIERN : Gott sei Dank Atheist
Dass wir das noch erleben müssen, liebe Freundinnen und Freunde der Generation 50 plus links: Dass der ganze, doch eigentlich – Gott sei Dank! – längst auf der roten Liste der untauglichen und deshalb zu Recht im Aussterben befindlichen Entwürfe zur individuellen und kollektiven Bewältigung des Lebens stehende Reliquark plötzlich wieder Resurrektion feiert. Und das selbst noch in dieser, in einer nach dem Weltrevolutionär Rudi Dutschke umbenannten Straße residierenden, lange tapfer die Fahne des aufgeklärten Atheismus und der Freiheit hoch in den Himmel über Berlin reckenden kleinen, erst 1979 gegründeten Vereinszeitung der Allianz reformpädagogisch orientierter, antiklerikaler Anarchisten und Kommunisten, deren Symbol die (Weinberg-)Schnecke ist.
Dort werden wir von My Generation neuerdings mit Sätzen wie: Mit dem Kopftuch fühle ich mich näher bei Gott! oder der absurden Frage nach der Reformkraft der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (!?) konfrontiert. Mehrfach wurden uns gar Sonderseiten zum Ökumenischen Kirchentag aufgenötigt, für den sich zuletzt doch nur noch ein paar Ethnologen und Historiker interessiert hatten.
Zum Popstar des Jahres kürten die (Medien-)Gläubigen aller christlichen Sekten dann die konkurrenzlos zur Wahl angetretene Ypsi der Reformierten, weil die sich zu der außerhalb jeglicher Begreiflichkeit (Helmut Kohl) stehenden Einlassung hinreißen ließ, dass sie mit den Taliban in einem Zelt für den Frieden beten wolle, auch wenn sie sich damit lächerlich machen sollte. Wir jedenfalls haben da schon einmal herzlich (vor-)gelacht. Herr, erbarme dich!
Viele der frommen Gotteskrieger hätten sich dann aber tatsächlich per Handy bei der ehemaligen Bischöfin zum Gebet mit interreligiösen Abendmahl angemeldet, hieß es aus dem Mund berufener Kirchengreise. Die Antibabypille sei gottgewollt, rief Maggie Christ Superstar ihren sich in München die Hufe wund applaudierenden Schäfchen von der Kanzel herab dann auch noch zu. Finale furioso! Dem anwesenden papsttreuen Oberhirten Marx flog denn auch umgehend sein Rotkäppchen vom massigen Schädel.
Exkurs: Bislang hatte ich geglaubt, dass die Pille 1951 von dem US-Pharmakologen Carl Djerassi (Syntex) erfunden wurde, der an einer Latexallergie litt. Der Mann soll danach allerdings tatsächlich göttlich gut drauf gewesen sein: Sex mit einer Parfümverkäuferin, da geht’s vibrationmäßig ab, und zwar wie nix (Pigor & Eichhorn).
Wie auch immer: Dort, wo all diese Leute ihrem Aberglauben nach meinen, eines Tages wieder auferstehen zu müssen – ob in irgendeinem christlichen Himmel oder einem 7. islamischen (wo den Märtyrern angeblich gleich 77 Jungfrauen permanent einen blasen) –, möchten wir ohnehin einmal nicht sein. Herr, erbarme dich also auch unser! Und wirf – breit gestreut – wieder einmal ein bisschen Hirn herab.
Ach so. Gerade nix zu machen. God s away on business (Tom Waits). Oder wie es in einem Aphorismus von Lichtenberg zum Thema heißt: Ich danke es dem lieben Gott tausendmal, dass er mich zum Atheisten hat werden lassen. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT