KITA-KIDS KÖNNEN NICHT STREIKEN – IHNEN MUSS DER STAAT HELFEN : Gerechtigkeit beginnt im Kindergarten
Die Erkenntnis setzt sich immer mehr durch, dass Familienpolitik in Form einer besseren Kinderbetreuung wichtig ist, um Müttern – und Vätern – die Verbindung von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit zu erlauben. Eine solche Politik befriedigt keineswegs nur die Interessen der Eltern, sondern kommt auch unmittelbar den Kindern zugute. Analysen für etliche Länder – so auch für Deutschland – zeigen, dass nur durch Erwerbstätigkeit Armut von Eltern und Kindern wirksam verhindert werden kann. Und teilzeiterwerbstätige Mütter sind, wie eine Untersuchung des DIW Berlin klar aufzeigt, deutlich zufriedener als nicht- oder vollzeiterwerbstätige Mütter. Auch das kommt den Kindern zugute. Es gibt aber noch einen weiteren Grund für eine gute Kinderbetreuung: Sie dient der Chancengleichheit der Kinder.
Wenn keine qualitativ gute Kinderbetreuung, die auch Bildung vermittelt, zur Verfügung steht, können schon früh die Weichen für unterschiedliche Lebenswege gestellt werden, ohne dass ein Kind sich dagegen wehren kann. Mütter mit hohem Bildungsniveau schicken ihre Kinder in Kindergärten – selbst dann, wenn diese Mütter nicht erwerbstätig sind. Denn diese Mütter wissen, was für ihre Kinder gut ist. „Kinder brauchen Kinder“, wie die ehemalige Familienministerin Ursula Lehr zu Recht immer wieder betont. Gruppenerfahrungen sind im Zeitalter von Einzelkindern und wenigen Nachbarskindern nicht mehr selbstverständlich. Aber nicht nur der Kontakt mit anderen Kindern ist wichtig, sondern auch die Qualität einer Einrichtung.
Untersuchungen der FU Berlin zur Qualität der Betreuung in Vorschuleinrichtungen zeigen enorme Unterschiede. Zwar gibt es keine unverantwortlich schlechten Kindergärten, aber eine gute pädagogische Betreuung kann – unabhängig vom Elternhaus – Fünfjährigen einen Entwicklungsvorsprung von einem Jahr bringen. Und der hilft den Kindern auch in der Grundschule. Für den weiteren Lebensweg der Kinder liegen noch keine Daten vor. Allerdings zeigen etliche Befunde für die USA, dass gute außerhäusliche Betreuung und Erziehung von Kindern gerade denen besonders hilft, deren Eltern nicht „bildungsorientiert“ sind. Wenn der Staat nun aber nicht dafür sorgt, dass alle Betreuungseinrichtungen auch pädagogisch gut sind, dann kann es in der Tat geschehen, dass Kinder in reine „Verwahranstalten“ geschickt werden. In den USA kann man das Ergebnis sehen: riesige Unterschiede in der Lebensqualität von Erwachsenen. Die Sicherung guter Qualität von Kinderbetreuung muss keineswegs bedeuten, dass nur der Staat Kinderbetreuungseinrichtungen betreibt, im Gegenteil: Pluralität ist wichtig. Aber der Staat muss eine wirksame Qualitätskontrolle sicherstellen und dafür sorgen, dass alle Eltern sich gute Kinderbetreuung leisten können.
Das Geld, das beim Bund, den Ländern und den Kommunen zur Verfügung steht, ist auf absehbare Zeit knapp. Gerade deswegen sollte Kinderbetreuung – dazu gehört auch ein flächendeckend ausreichendes Angebot an Ganztagsschulen – politische Priorität eingeräumt werden. Denn Chancengerechtigkeit spielt nicht zuletzt in einer Gesellschaft, in der es viele Kinder von Zuwanderern zu integrieren gibt, langfristig eine herausragende Rolle. Ohne effektive Chancengerechtigkeit, die nicht nur auf dem Papier steht, ist der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet – der ist aber auch für die Exportstärke der Wirtschaft wichtig.
Man sollte Kinder nicht gegen Studierende ausspielen. Aber jeder Euro kann nun einmal nur einmal ausgegeben werden, deswegen muss folgende Überlegung erlaubt sein: Die Einführung von Studiengebühren würde nicht nur die Qualität des Studiums verbessern, sondern die Entlastung, die der Staat durch Studiengebühren erfährt, könnte es Ländern und Kommunen ermöglichen die vorschulische und schulische Bildung auszubauen und vor allem auf die Erhebung hoher Kindergartengebühren zu verzichten. Wer es, auch mit Hilfe des Staates, bis zum Studium geschafft hat, der ist für sein Leben selbst verantwortlich. Dem kann man Studiengebühren – wenn sie sozial abgefedert sind – zumuten. Eine gute Vorschul- und Schulausbildung können Kinder sich nicht selbst erkämpfen. Hier ist der Staat viel mehr gefordert als bei jungen Leuten, denen nach dem Studium ein überdurchschnittliches Einkommen winkt.
GERT G. WAGNER
Der Autor ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)