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Archiv-Artikel

KEINE RELIGIONSFREIHEIT IN AFGHANISTAN: DER FALL ABDUL RAHMAN Justiz à la Taliban

In Afghanistan herrscht zweierlei Maß: Vor ein paar Monaten ist dort ein ehemaliger deutscher Entwicklungshelfer zum Islam konvertiert; er trägt seitdem den Namen Abdul Rahman und war als Konvertit willkommen. Der Fall seines Namensvetters, der in Kabul in Haft sitzt, weil er Jesus vor Mohammed den Vorzug gab, droht Afghanistan dagegen nun um Lichtjahre zurückzuwerfen.

Die Verurteilung wegen „Abfall vom Glaubens“ spricht die Sprache konservativer Richter und Theologen. Am Hindukusch – wie auch in Saudi-Arabien oder dem Iran – steht auf Apostasie grundsätzlich die Todesstrafe. Hingerichtet werden kann ein Verurteilter in Afghanistan aber nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten. Mehrfach hat Hamid Karsai in der Vergangenheit zugunsten von Inhaftierten interveniert. Doch der Konflikt zwischen Karsai und konservativen Religionsgelehrten ist in der neuen afghanischen Verfassung angelegt: Die garantiert einerseits Religionsfreiheit und „rule of law“. Aber auch, dass kein Gesetz im Widerspruch zum islamischen Recht stehen darf.

Es ist richtig, dass deutsche Politiker dies jetzt anprangern, zumal der Fall angesichts anschwellender Kulturkampfdebatten eine grundsätzliche Dimension besitzt. Doch das deutsche Truppenkontingent am Hindukusch sollte deshalb nicht gleich in Frage gestellt werden. Denn das Problem wird sich nicht von heute auf morgen lösen lassen – zumal viele Afghanen weder wissen, wer Jesus war, noch wofür das Christentum überhaupt steht.

Wohl aber kann man sich in dieser Sache einen koordinierten Vorstoß der EU-Staaten denken. Die internationale Staatengemeinschaft sollte deshalb die Modernisierung des afghanischen Rechtssystems behutsam forcieren. Auch die Vergabe von Hilfsgeldern darf man daran messen.

Im konkreten Fall heißt es nun, Abdul Rahman könne für geisteskrank erklärt und damit von Haft verschont werden. Das ist zwar noch kein echter Fortschritt in Sachen Menschenrechte. Doch die grundsätzliche Debatte über dieses Thema muss dem konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft jetzt zugemutet werden. MARTIN GERNER