KEINE FLUT IN BERLIN: Das Hochwasser fällt leider aus
Auch wenn in Brandenburg Hochwasseralarm herrscht, wird in Berlin wenig davon zu spüren sein. Hier markiert die kanalisierte Spree das Ende eines traurigen Flussschicksals.
Droht Berlin ein ähnliches Schicksal wie am Wochenende Görlitz oder Dresden beim Jahrhunderthochwasser 2002? "Nur ein Staudamm schützt Berlin vor der Flut-Katastrophe!", warnte am Dienstag die Bild-Zeitung und verwies auf die Talsperre Spremberg. Dort rauscht das Hochwasser der Spree derzeit mit 100 Kubikmetern Wasser pro Sekunde ins Rückhaltebecken. In Berlin dagegen betrug der Abfluss am Dienstag nur 25 Kubikmeter. Ein bedrohliches Gefälle also, das nahelegt, dass die Keller in Berlin bald ebenso volllaufen könnten wie beim "Blitzhochwasser" an der Lausitzer Neiße.
Tatsächlich aber liegt das letzte "Hochwasser" in Berlin fast 30 Jahre zurück. 1981 strömte die Spree nach Angaben des Wasser- und Schifffahrtamtes Berlin (WSA) mit 82 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch die Stadt - einer der höchsten Werte, die jemals gemessen wurden. Überschwemmungen gab es damals ebenso wenig wie nennenswerte Schäden. Einzig ein paar Grundstücke an der Müggelspree standen unter Wasser.
Dabei waren die Wasserfluten damals an der oberen Spree fast doppelt so hoch wie in diesen Tagen - 182 Kubikmeter pro Sekunde rauschten damals in die 1965 gebaute Spremberger Talsperre. Berlin blieb also verschont, während Cottbus bei einem Pegel von 3,22 Meter beinahe "Land unter" meldete.
Um Ähnliches von Berlin sagen zu können, muss man weit zurückgehen. Zwar gab es Anfang 1945 verheerende Überschwemmungen an der innerstädtischen Spree. Grund war aber kein Hochwasser, sondern die Sprengung zahlreicher Brücken in den letzten Kriegsmonaten, die schließlich zu Eisstau führten.
So liegt die letzte wirkliche "Flut-Katastrophe" mehr als hundert Jahre zurück. 1905 trat der Fluss über die Ufer und erinnerte die Berliner an die regelmäßigen Hochwasserereignisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Spree nach der Einleitung von Fäkalien und Müll immer wieder "verstopft" wurde. Daraufhin wurde 1874 angefangen, eine Kanalisation anzugelegen. Und mit dem Bau der Mühlendammschleuse und des Landwehrkanals, so WSA-Sprecherin Eva Milbrodt, sollte das Spreewasser fortan besser über die Stadt verteilt werden können.
Es ist deshalb keine Beschwichtigung, wenn Umweltsenatorin Katrin Lompscher am Dienstag mitteilen ließ: "Berlin ist nach wie vor vom Hochwasser der Spree nicht betroffen." Gleichzeitig prognostizierte Lompschers Verwaltung, dass der Scheitel des Spreehochwassers am heutigen Mittwoch Berlin erreichen werde - und der Pegel um (wenig bedrohliche) 10 bis 20 Zentimeter steigen könnte. Der Grund: Aus der Spremberger Talsperre werden seit Dienstag 70 Kubikmeter pro Sekunde abgelassen.
Ob der Pegel aber überhaupt steigt, ist ungewiss. Schließlich liegt zwischen der Talsperre und der Spreemetropole nicht - wie es die Bild suggeriert - eine einzige Staumauer. Unterhalb Sprembergs befinden sich weitere "Flutkiller": die Überlaufrohre, mit denen die ehemaligen Tagebaue geflutet werden; der Spreewald, ein Binnendelta, das das Wasser wie ein Schwamm aufnehmen kann; der Spree-Dahme-Umflutkanal, mit dem das Wasser in Leibsch über Märkisch Buchholz in die Dahme geleitet wird; die Müggelspree als ein weiteres Delta sowie der Müggelsee.
Namentlich die Umflutkanäle und Stauwerke sind Beispiele für einen Spreeumbau, der dem Fluss seinen Schrecken nehmen sollte - und ihm gleichzeitig den Garaus machte. Das gilt ganz besonders für die Begradigung der "Krummen Spree" oberhalb von Fürstenwalde. Zwischen 1906 und 1912 wurden dort 20 Flussschleifen abgeschnitten - an ihrer Stelle entstand ein schnurgerader Kanal. Das war auch eine Reaktion auf die vielen Hochwasser, die es bis dahin gab. Alleine im Kreis Beeskow verursachten sie 1897 bis 1899 Schäden in Höhe von 1,7 Millionen Reichsmark.
Auch deshalb nennt Matthias Freude, Chef des Brandenburger Landesumweltamts, die Spree den "geschundensten Fluss in Brandenburg". Mit einem "Masterplan Spree" sollen die Mäander der "Krummen Spree" wieder angeschlossen und der Fluss, wenigstens abschnittsweise, renaturiert werden. Schließlich sind natürliche Überflutungsflächen immer noch wirksamer als technische Wasserbauten, die die Fluten nur verteilen, aber nicht zurückhalten.
Wenn die Stadtspree, allen Schwarzmalereien zum Trotz, die nächsten Tage in ihrem Bett bleibt, ist das also eine gute und eine schlechte Nachricht. Gut, weil neben der Spremberger Talsperre vor allem die natürlichen Abschnitte wie der Spreewald das Hochwasser reguliert haben werden. Schlecht, weil in Berlin wohl erst ein Hochwasser kommen muss, um auch an der Stadtspree neue "Visionen" zu diskutieren. Warum soll man sich dort nur Neubauten, nicht aber auch natürliche Polder vorstellen dürfen?
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