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Archiv-Artikel

KEIN WUNDER – IN DER STATISTIK TAUCHEN WENIGER ARBEITSLOSE AUF Retuschieren kann gefährlich werden

Momentan scheint sich ein statistisches Wunder zu ereignen: Die Zahl der Erwerbstätigen sank im letzten Jahr – und gleichzeitig nahm die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen im Dezember weiter ab. Eigentlich müsste es genau andersherum sein; eigentlich müssten mehr Menschen in den Listen der Bundesagentur für Arbeit auftauchen, wenn die Jobs verschwinden. Eigentlich. Aber neuerdings gibt es ja die „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“. Sie erhöht zwar nicht die Zahl der Arbeitsplätze, aber die Arbeitslosen werden aus der Statitistik herausaktiviert. Wohin auch immer. Das wird bisher nicht erfasst.

Bleibt nur noch eine Frage: Wozu braucht man eine Statistik, wenn sie die Wirklichkeit nicht mehr abbildet? Diese Frage ist nicht ganz neu, aber noch nie hat sie sich so scharf gestellt. Auch bisher galt schon, dass etwa ein Drittel aller Arbeitslosen offiziell nicht auftauchte und zur ominösen „stillen Reserve“ zählte. Selbst Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) ist so frei, einzuräumen, dass tatsächlich etwa 6 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland fehlen. Aber anscheinend lässt sich über Arbeitslosigkeit durchaus entspannt plaudern, solange sie nicht zur harten Zahl gerinnt. Denn Zahlen sind ein erbarmungsloses Argument, sie umweht die Magik des absolut Authentischen.

Das kann politisch gefährlich werden. Statistik hat daher eben nicht nur den Zweck, Wirklichkeit zu beschreiben – sondern auch, sie zu kaschieren. Alles andere wäre ein Missverständnis. Zahlen funktionieren wie Fotos – sie suggerieren unmittelbare Wahrheit und lassen sich doch bestens retuschieren. Diese Kombination ist für die Politik unwiderstehlich.

Allerdings gibt es Regeln für die gute Retusche. Die Statistik muss plausibel bleiben, sie darf nicht komplett erlogen wirken und allzu weit von der Wirklichkeit entfernt sein. Sonst wird das Publikum wütend. Einmal haben die Arbeitsämter dies schon erfahren müssen: Präsident Bernhard Jagoda flog und Florian Gerster kam, weil die Vermittlungszahlen zu positiv ausfielen. Dabei wurde vor zwei Jahren doch nur ein kleiner Teil der Statistik geschönt – heute wird allumfassend retuschiert. Das kann sich rächen. ULRIKE HERRMANN