KARNEVAL: Karneval kamellisiert die Kulturen

Fremde Bräuche lassen die Berliner am Sonntag auf dem Kudamm bei aller Toleranz ratlos zurück. Der Integrationsbeauftragte Piening freut sich über die Präsenz von Minderheiten.

Kamelle gibt's auch in Berlin. An der rheinischen Frohnatur fehlt's jedoch. Bild: AP

Heijo. Der Berliner hat am Sonntag mal wieder seine grenzenlose Toleranz gegenüber fremden Kulturen bewiesen. Hundertausende zog es bei sonniger Kälte zum Kurfüstendamm, um den 8. Berliner Karnevalszug zu beobachten. Am Rande des fast drei Kilometer langen Umzug aus 60 Wagen und 40 Fußgruppen kam es jeodch immerwieder zu interkultrurellen Missverständnissen. So bestand Uneinigkeitkeit darüber, ob man Berliner Jecken mit "Alaaf" oder "Helau" begrüßen darf.

Der Berliner betrachtet das närrische Treiben mit einer gewissen Nüchternheit. Vielleicht, weil er keinen besonderen Anlass braucht, um tagsüber und draußen Alkohol zu trinken. Auch das Auf-den-Kopf-Stellen der gewohnten Verhältnisse, das in echten Karnevalshochburgen den Anlass für die "jecken Tage" liefert, folgt in Berlin anderen Gesetzen. Ein Wiesbadener Autofahrer, der von Straßensperren verwirrt in Gegenrichtung durch eine Einbahnstraße fuhr, wurde von einem dem Tagesereignis zum Trotz gewohnt schlecht gelaunten Polizisten jedenfalls barsch, wenn auch immerhin im familiären "Du", zurechtgewiesen: "Kuck ma, watt da steht!"

Geübt wurde der neue Brauch gestern fleißig, doch nicht immer erfolgreich. Plötzliches Abschalten der Musikbeschallung von den Umzugswagen, das dem Publikum Gelegenheit zum Selbersingen geben sollte, wurde meist mit verblüfftem Schweigen quittiert. Konkretere Anweisungen von den Profikarnevalisten wie beispielsweise: "Jetzt die Arme ineinanderhaken und schunkeln!" wurden ignoriert. Mehr erzieherischen Erfolg hatte eine Wagenbesatzung, die drohte, Bonbons nur noch dann zu werfen, "wenn ihr da unten alle lächelt!" Schon durchgesetzt hat sich der aus karnevalsgeübten Gegenden importierte Brauch, die Kamellen mit umgekehrten Schirmen aufzufangen.

Auch wenn die Veranstalter des Berliner Karnevals eine bis ins 15. Jahrhundert zurückgehende Tradition beanspruchen - der organisierte Frohsinn findet bislang nur bei einer Minderheit Anklang. Grund für den Integrationsbeauftragten, sich zuständig zu fühlen? Ja, sagt Günter Piening, denn: "Ich freue mich immer, wenn Minderheiten auf die Straße gehen und sagen: Wir sind da!" Der Narrenumzug bringe ebenso wie der Karneval der Kulturen an Pfingsten "bestimmte Vorstellungen von Frohsinn" auf die Straße, und, so Piening: "In Berlin steht Caipirinha dafür genauso wie Kölsch."

Caipirinha, Samba und sogar Steeldrums hatten die klassischen Karnevalisten sicht- und hörbar integriert. Unterschiede zum Karneval der Kulturen wurden bei den politischen Botschaften deutlich. Während an Pfingsten Themen wie den Umgang mit Flüchtlingen aufgreift, prangerten die Traditionskarnevalisten die Einführung der Umweltzone oder die geplante Schließung des Flughafens Tempelhof an. Ein Fest für CDU-WählerInnen?

Natürlich ziele der klassische Karneval "in ein bestimmtes Milieu hinein", sagt Integrationsexperte Piening. Dies bilde sich auch in seinen Vereins- und Leitungsstrukturen ab. Doch auch hier sieht Piening Verbindendes: Solche Strukturen, die man in der Karnevalshochburg Köln als "Klüngel" kenne, seien auch manchen Migrantenvereinen nicht fern.

Mae aus Singapur, eine der vielen ausländischen Touristinnen am Rande des Umzugs, blieb die dort präsentierte Vorstellung von Frohsinn etwas rätselhaft: "Its funny! What is it about?" Die englische Übersetzung des Liedes "Das sind niemals 20 Zentimeter, nie im Leben, kleiner Peter!", intoniert von prächtig uniformierten, bedächtig schunkelnden SeniorInnen, ließ sie nachdenklich verstummen. Eine nebenan fröhlich mitschunkelnde Gruppe Düsseldorfer Jeckinnen hatte auf die Frage, was am Berliner Karneval besser als am rheinischen sei, eine nüchterne Antwort parat: "Hier ist mehr Platz!"

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