KARFREITAG in Bremen: "Die andere Stimme im Hals"
OPER Im Turmzimmer des Schlachthofs feiert „Pyramus und Thisbe“ Bremer Erstaufführung
31, Regisseur, hat Musiktheaterregie in Hamburg studiert und ist Mitgründer des Kollektivs „Institut für angewandtes Halbwissen“.
taz: Herr van Bebber, passt eine Barockoper auf die Bühne im Schlachthof-Turm?
Benjamin van Bebber: Adolph Hasses „Pyramus und Thisbe“ passt da sehr gut hin – auch wenn wir die Besetzung auf Cembalo und Keyboard reduzieren mussten. Aber in dem kleinen Raum hier wird das Publikum sehr direkt angesprochen und der intime Rahmen verstärkt noch die radikale Engführung der Handlung auf diese Zweier-Konstellation: Zwischen Pyramus und Thisbe spielt sich alles ab. Es gibt nur diese zwei – und das Publikum.
Die beiden lieben einander, sind aber durch ein väterliches Kontaktverbot getrennt – und durch eine Wand, die aber einen Ritz hat… ?
Genau, das ist sehr konzentriert: Als ginge es um eine Versuchsanordnung für die ideale Liebe. Auch bei der gibt es immer ein Dazwischen, eine Fremdheit. Und gleichzeitig gibt es den Kontakt über die Stimme, die in den anderen regelrecht eindringt, ohne dass die Trennung dadurch überwunden würde.
Es gibt auch die trennende Stimme des Vaters, die bei Ihnen körperlos, als fahrender Lautsprecher auftritt. Warum diese Verfremdung?
Im Zentrum dieser Oper steht ja tatsächlich die Kommunikation, und die geschieht heute in einem sehr großen Maße elektronisch. Deshalb habe ich den Komponisten Dario Quiñones gebeten, eine Bearbeitung der Partie des Vaters zu machen: Die wurde eingesungen und transformiert. Stimmen, die aus dem Lautsprecher kommen, haben für mich eine ganz eigene Qualität. Sie sind nicht zuzuordnen, und der fehlende Körper verleiht ihnen Macht: Sie sind nicht angreifbar oder verletzlich.
Lisa Schmalz und Marie Sophie Richter singen dagegen stark körperbetont, in einer Szene singen sie einander sogar in den Mund. Das muss eine erstaunliche Erfahrung sein?
Sie haben gesagt, dass sie die andere Stimme im Hals spüren, ja. Die beiden sind zum Glück sehr experimentierfreudig. Wir haben das während der Proben versucht und das war erst ein Moment des Zögerns, huch!, das habe ich ja noch nie gemacht. Aber es ist musikalisch ein sehr starker Effekt.
Greift dieser experimentierende Ansatz etwas von Hasses Art zu komponieren auf?
Auf jeden Fall fragt Hasse in seinen Schriften auch ganz explizit nach dem, was die Stimme ist. Und er probiert aus, was sie kann, durch extreme Kolloraturen aber auch durch Passagen, in denen ein einziger einfacher Ton extrem lange auszuhalten ist, über etliche Takte, ohne Phrasierung. Das wirkt wie eine Suche nach der Stimme an sich.
interview: bes
Pyramus und Thisbe, Fr. + Sa., 20 Uhr, Schlachthof
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