Justiz: Keine Frage der Nächstenliebe
Neue Projekte von Straffälligenbetreuung und Knast wollen das familiäre Elend der Gefangenen mildern. Weihnachten wird wohl trotzdem weiterhin eine Qual bleiben.
taz | Im Gefängnis in Oslebshausen müssen die Insassen in diesem Jahr allein Weihnachten feiern: Besuche gibt es nicht. Schuld daran ist allerdings keine Boshaftigkeit der Anstaltsleitung, sondern eine kleine Tragödie aus dem vergangenen Jahr. Von 18 angemeldeten BesucherInnen kamen gerade mal sieben. Die übrigen Inhaftierten hätten im Besuchsraum vergeblich gewartet, erzählt die „Besuchsbeamtin“ Bianca Recht: „Das wollten wir ihnen nicht wieder antun.“
Die Familie über die Haft hinweg zu erhalten, ist nicht nur an Weihnachten eine Herausforderung – besonders wenn Kinder beteiligt sind. Ein neues Projekt der Bremischen Straffälligenbetreuung soll Kinder ab vier mit ihren inhaftierten Vätern zusammenbringen. Die Projektverantwortliche Elke Bahl sagt, viele Kinder müsste überhaupt erst realisieren, dass der Vater im Gefängnis ist. Die Mitarbeiter betreuen Angehörige und vermitteln Kontakte zu Behörden. „Da gibt es große Hürden“, sagt Bahl. Viele Mütter würden sich nicht ans Jugendamt wenden, weil sie Angst hätten, dass man ihnen die Kinder wegnähme.
Der Verein arbeitet eng mit der Justizvollzugsanstalt (JVA) zusammen. Deren Familienbeauftragter Torben Adams ermittelt gerade, wie viele Inhaftierte Kinder haben. Bisher ergibt sich der Hilfsbedarf aus dem Einzelfall, wenn etwa Seelsorger direkt von Häftlingen angesprochen werden – oder wenn „uns etwas auffällt“, sagt die Beamtin Recht.
Zukünftig soll es im Väter-Projekt auch darum gehen, die eigene familiäre Rolle zu reflektieren. Viele hätten Schwierigkeiten zu akzeptieren, nicht mehr der Ernährer der Familie zu sein, sagt Adams: „Man besucht keinen Elternabend in der Schule und kann auch die sportlichen Erfolge der Kinder nicht mitfeiern.“
Immerhin gibt es Weihnachtsgeschenke: Ein kleines Mädchen trägt ein in der Knast-Küche gebackenes Lebkuchenhaus durch die Schleuse. Andere bekommen CDs, auf denen die Väter ihnen vorlesen. „Ich lese für dich“, heißt das Projekt der Pädagogin Renate Neumann-Herlyn.
Dass sich die JVA um die familiären Verhältnisse der Gefangenen kümmert, ist keine Frage der Nächstenliebe. Es geht um das „Vollzugsziel Resozialisierung“, wie es im Gesetz heißt, aber auch um den Rechtsstaat: „Gefangene sind einzig und allein zum Entzug der Freiheit verurteilt“, sagt Adams – nicht aber zum Abbruch ihrer sozialen Beziehungen.
Trotzdem gewährt das Gesetz nur drei Stunden Besuchszeit pro Monat. Mehr wird es dann auch in der Praxis nicht, denn Besuche sind organisatorisch aufwendig und die Räume begrenzt. „Perfekt sind die Bedingungen nicht“, sagt Adams – man könne aber viel daraus machen. Tatsächlich scheint sich etwas zu tun: Die Besuchsräume sollen eine Außenterrasse bekommen und seit Kurzem wird Gefangenen Video-Telefonie mit Familienmitgliedern ermöglicht.
Der Stigmatisierung der Gefangenen draußen macht es nicht leichter: „Denen geht es noch zu gut“, heißt es immer wieder. Bianca Recht erzählt, wie ihre Tochter übrig gebliebene Stoffreste aus der Schule mitnehmen wollte. Im Grunde kein Problem, bis die Lehrerin erfuhr, dass es die Materialien für ein Kreativ-Projekt im Knast sein sollten. „Da gab es plötzlich keine Stoffe mehr“, sagt die Beamtin.
Wenn Kinder sich nicht bereit fühlen, die Väter zu besuchen, will das Projekt der Straffälligenbetreuung vermitteln. Gemeinsam mit den BetreuerInnen können die Kinder Briefe schreiben, um den Kontakt zunächst aus der Ferne aufzunehmen. Die direkte Betreuung der Kinder sei wichtig, weil ihre Eltern oft schon miteinander überfordert seien, sagt Bahl: „Die Eltern haben bei den kurzen Besuchen viel zu besprechen und die Kinder gehen den Bach runter.“
Jugendliche ab 14 Jahren können allein zum Elternbesuch ins Gefängnis fahren. Jüngere werden manchmal von ihren Müttern bis zur Schleuse gebracht, wo sie von JVA-Personal zu den Besuchsräumen begleitet werden. Die sind hell und freundlich, mit Holztischen und Bildern an der Wand.
Gerade für Kinder, die bei der Festnahme dabei waren, kostet der Umgang mit den Uniformierten trotzdem Überwindung. „Es ist ein Schock, wenn die Polizei in die Wohnungen kommt und den Vater mitnimmt“, sagt Adams. Danach sei das Leben erst mal durcheinander und viele stünden vor der Entscheidung, dem Vater oder dem Staat die Schuld daran zu geben. „Das hängt am Alter der Kinder“, sagt Adams. Aber auch das Vergehen dürfte wohl eine Rolle spielen – denn die sind manchmal ziemlich harmlos.
Einige sitzen hier so genannte „Ersatzstrafen“ ab, weil sie Bußgelder nicht bezahlen konnten. Zwar gibt es Möglichkeiten, diese Haft zu vermeiden und etwa Ratenzahlungen zu vereinbaren, aber manche sind psychisch nicht zu dem Verwaltungsaufwand in der Lage. Und da Hafturlaub bei Ersatzstrafen grundsätzlich ausgeschlossen ist, gilt: Wer fürs Schwarzfahren im Knast sitzt, der bleibt auch über Weihnachten garantiert drinnen.
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