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Justiz in UgandaFrieden statt Gerechtigkeit

Der Internationale Strafgerichtshof will die Führung der brutalen LRA-Rebellen verhaften und anklagen. Doch Ugandas Regierung möchte mit ihnen lieber Frieden schließen.

LRA-Rebellen auf dem Weg zu ihrem Camp Bild: dpa

Hawa Asanye hat immer noch Angst. Umgeben von einer lärmenden Kinderschar, steht die 25-Jährige vor ihrer kleinen Lehmhütte. Fragt man sie, ob sie bald wieder zurück in ihr Dorf gehen wird, blinzelt sie skeptisch ins Sonnenlicht. "Wir fürchten uns noch zu sehr", sagt sie schließlich.

Seit vier Jahren lebt Hawa Asanye schon im Vertriebenenlager Swariya, gelegen am Rand der Kleinstadt Soroti im Osten Ugandas. Die Hütten der Kriegsflüchtlinge am Fuße des mächtigen Soroti-Felsens, von dem aus Touristen gern den herrlichen Sonnenuntergang bestaunen, bilden mit ihren Dächern aus Plastikfolie und Lumpen einen erbärmlichen Kontrast zu den lauschigen Alleen der Stadt. 53.000 Einwohner hat Soroti, 20.000 von ihnen sind Kriegsflüchtlinge. Die meisten von ihnen leben seit vier Jahren hier, als die gefürchtete nordugandische Rebellenbewegung Lords Resistance Army (LRA) einmal bis nach Soroti vorstieß, so weit wie sonst nie.

Nach ihrem Einmarsch im Juni 2003 blieben die Rebellen nur zwei Wochen, aber was in diesen Tagen geschah, wirkt bis heute nach. "Als sie ankamen, hissten sie ihre Flagge, spielten Fußball, und die Armee ließ sich nicht blicken", erzählt Julius Ocen, Gouverneur des Nachbardistrikts Amuria. "Dann fingen sie an, Kinder zu kidnappen. Die Leute regten sich natürlich auf und organisierten eine eigene Miliz." Die sogenannten Arrow Boys des hier lebenden Teso-Volkes, von Ugandas Militär unterstützt, schafften es schließlich, die LRA-Kämpfer zu verjagen. Die Bilanz liest sich grausam: Laut einer offiziellen Statistik hat die LRA im Distrikt Amuria während ihrer kurzen Herrschaft 281 Menschen ermordet und 316 verschleppt.

Auch der Ehemann der Flüchtlingsfrau Asanye gehört zu den Entführungsopfern. Er wurde von der LRA nach Norduganda verschleppt, konnte aber 2004 bei einem Armeeangriff fliehen. "Er hat mir erzählt", berichtet seine Ehefrau, "dass das Leben sehr hart war. Es gab nichts zu essen, man wurde geschlagen". Inzwischen lebt auch er mit ihr und den drei kleinen Töchtern in Soroti.

Für die Kriegsflüchtlinge ist das Leben hier nicht einfach. Einheimische kritisieren, die Vertriebenen machten überall Müll. Internationale Hilfe gibt es nicht, sodass die Lagerinsassen um Jobs konkurrieren. Viele gehen zum Steineklopfen an den Felsen - für einen 20-Liter-Kanister Gestein gibt es umgerechnet sechs Euro-Cent.

Uganda vor Gericht

Das ist die LRA: Die Lords Resistance Army, die Widerstandsarmee des Herrn, entstand in den 90er-Jahren in Uganda. Sie war die Nachfolgeorganisation bewaffneter Gruppen, nachdem 1986 der Südugander Yoweri Museveni die Macht in Uganda übernommen hatte. Sie proklamiert den Befreiungskrieg vor allem für das Acholi-Volk im Norden Ugandas, ist aber für ihre brutale Kriegsführung berüchtigt. Ihr Führer Joseph Kony sieht sich als Prophet der Zehn Gebote.

Das ist der Strafgerichtshof: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag existiert seit 2003. Seine Rechtsgrundlage ist das Römer Statut, das die Vereinten Nationen 1998 beschlossen und das am 1. Juli 2002 in Kraft trat. Der Gerichtshof ist für alle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den derzeit 105 Teilnehmerstaaten zuständig - auf Anfrage oder auf UN-Sicherheitsratsbeschluss. Der IStGH hat bis heute zehn Haftbefehle veröffentlicht: zwei für die Demokratische Republik Kongo (beide vollstreckt), zwei für Sudan (gegen den Willen von Sudans Regierung), sechs für die LRA-Rebellenführung in Uganda. Mindestens einer der sechs Rebellenführer ist bereits tot. DJ

Und trotzdem findet Hawa Asanye, dass sie es hier besser hat als in ihrer alten Heimat. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Von den einst 1,7 Millionen aus Ugandas Kriegsgebieten Vertriebenen sind nach UN-Angaben seit Ende der Kämpfe vor zwei Jahren nur 478.000 wieder zurück in ihre Dörfer gegangen. Im Acholi-Land, Kerngebiet des Krieges der LRA, liegt die Rückkehrerquote gar bei mageren zwei Prozent, in der Region um Soroti bei vier.

Der Grund ist klar: Kaum jemand traut dem Frieden. Bis heute ist noch nicht einmal aufgearbeitet, was vor vier Jahren geschehen ist. "Über 300 Tote liegen in Soroti in Massengräbern", sagt der Rundfunklokaljournalist David Okurut. Im November haben Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag eines davon besichtigt. Sie sammelten Beweismaterial gegen die LRA, vor allem gegen deren berüchtigten Chef Joseph Kony - er wird, zusammen mit vier weiteren Verdächtigen, mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Die juristische Verfolgung der Rebellenführer spaltet Uganda, und sie stellt den Internationalen Strafgerichtshof vor ein großes Dilemma. Denn Ugandas Regierung führt Friedensverhandlungen mit der LRA - ein Ergebnis könnte sein, dass die Verbrecher nicht nach Den Haag ausgeliefert werden. Dann müsste der Strafgerichtshof seine Ermittlungsarbeit einstellen, und es wäre ein Präzedenzfall geschaffen dafür, wie Bürgerkriegsparteien die internationale Justiz aushebeln können.

Heute ist die LRA nicht mehr in Uganda aktiv. Jahrelang im Sudan stationiert, verlor sie 2005 mit dem Friedensschluss im Südsudan ihre Basen und setzte sich in die Demokratische Republik Kongo ab. 2006 schloss sie mit Ugandas Regierung einen Waffenstillstand - als Vorstufe für Friedensgespräche. Derzeit sind die im Südsudan laufenden Verhandlungen jedoch unterbrochen, ihre Wiederaufnahme ist ungewiss.

Uganda gibt sich optimistisch, was das angeht. "Es hat schon viele Versuche gegeben, Norduganda Frieden zu bringen", sagt der Verhandlungsführer der Regierung, Innenminister Ruhakana Rugunda, "aber dieser ist anders. Wir machen Fortschritte und sind jederzeit zur Wiederaufnahme der Verhandlungen bereit. Selbst Joseph Kony hat uns gesagt, dass er an Frieden interessiert ist und ein Abkommen möchte."

Das wundert nicht, schließlich könnte dieser Frieden den Rebellenführer vor dem Gefängnis bewahren. Und tatsächlich: "Wenn wir ein Abkommen schließen", sagt Rugunda, "werden wir zum Strafgerichtshof gehen und sagen: Wir sind vor drei Jahren zu euch gekommen, weil wir an Kony nicht herankamen. Aber jetzt haben wir mit ihm ein Abkommen geschlossen. Und weil Ugandas Volk sich auf Versöhnung geeinigt hat, bitten wir den Strafgerichtshof, seine Klage zurückzuziehen."

Stattdessen, meint er, könnten die Kriegsverbrechen der LRA mit traditionellen Versöhnungszeremonien gesühnt werden. Matoput heißen diese Dorfrituale des nordugandischen Acholi-Volkes, bei denen der Täter sein Opfer um Verzeihung bittet.

Gemessen an den Verheerungen, die zwanzig Jahre Krieg in Nordugandas Gesellschaft angerichtet haben, ist das eine ziemlich schwache Form der Aufarbeitung, finden Menschenrechtler. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte sich am Montag bei der Jahresversammlung der Teilnehmerstaaten des Strafgerichtshofs unzweideutig: "Es kann keinen nachhaltigen Frieden ohne Gerechtigkeit geben" - also ohne Strafverfolgung. Die UN-Mitgliedstaaten seien aufgefordert, "alles in ihrer Macht zu tun, um die ausstehenden Haftbefehle zu vollstrecken".

Was die LRA angeht, tut das nämlich niemand - auch nicht die UNO selbst. Im Kongo, wo die Rebellen sich mit ihren verbliebenen 800 Kämpfern verschanzt haben, steht die größte UN-Blauhelmtruppe der Welt. Aber weder sie noch Kongos Regierung bemühen sich, die Rebellen aus ihren Lagern im Nordosten des Landes im Garamba-Nationalpark an der Grenze zu Sudan sowie im nahen Ngungu zu vertreiben.

Damit sind auch Uganda die Hände gebunden. Die Verhandlungen mit den Rebellen seien nur nötig, weil Kongos Präsident seinen Job nicht mache, soll Ugandas Präsident Yoweri Museveni letzte Woche bei einem Treffen mit Diplomaten geschimpft haben. Jahrelang wurde die LRA von Sudans Regierung aufgerüstet, trainiert und beherbergt, Ugandas Innenminister Rugunda will nicht ausschließen, dass weiter Militärhilfe aus Khartum an sie fließt.

Wegen der Duldung der LRA durch die Nachbarländer kann Ugandas Regierung den Konflikt nicht militärisch beenden. Also lockt sie die Rebellenarmee mit Zugeständnissen, auch wenn das der internationalen Gemeinschaft nicht schmeckt. "Kony traut dem Friedensprozess nicht", ist die Erklärung von Henry Oryem Okello. Der Staatssekretär im ugandischen Außenministerium und zweiter Verhandlungsführer der Regierung entstammt derselben Ethnie wie der LRA-Chef. "Kony hat zwanzig Jahre lang wie ein Tier gelebt: im Busch, gejagt von der Armee. Also verhält er sich auch wie ein Tier. Man muss auf ihn zugehen. Die LRA-Führer haben Angst vor dem Internationalen Strafgerichtshof, also sollten wir ihnen eine weiche Landung anbieten und einen Alternativmechanismus der traditionellen und nationalen Justiz aufbauen. Wenn die Verhandlungen scheitern und sie im Kongo bleiben - dann sollen sie halt da bleiben."

Aus ugandischen Geheimdienstkreisen verlautet, dass mehrere Versuche, parallel zu den Friedensgesprächen Kony direkt auszuschalten, gescheitert seien. Erst kürzlich sei im Kongo ein Einsatz US-amerikanischer Spezialkräfte gegen die LRA fehlgeschlagen - daraufhin habe Kony seinen Standort verlassen und entferne sich von Uganda, Richtung Zentralafrikanische Republik. Dort wartet auf ihn allerdings die geplante EU-Militärmission, die unter französischer Führung in den Grenzgebieten zum Sudan für Sicherheit sorgen soll. Frankreich, heißt es, habe extra ein ugandisches Elitebataillon ausgebildet, um es in der Zentralafrikanischen Republik gegen Kony einzusetzen. Noch fehle dafür jedoch die Zustimmung des dortigen Präsidenten; die Elitesoldaten sollen nun eventuell in Somalia eingesetzt werden. Das Ganze ist ein undurchsichtiges Kräftemessen, dem die Friedensgespräche eine Art freundliche Fassade geben sollen.

Auch die LRA spielt dabei nicht mit offenen Karten. Vincent Otti, der eigentlich für die Gespräche zuständige zweite Rebellenführer, ist verschollen - das letzte Lebenszeichen von ihm gab es Mitte Oktober. Die LRA sagt, er stehe unter Hausarrest, aber hinter vorgehaltener Hand munkelt man in Uganda, dass Otti mit dem Segen seines Chefs Kony umgebracht wurde, vielleicht sogar von Kony selbst. "Kony aß Ottis Schwanz", titelte kürzlich die für ihre blühende Fantasie bekannte ugandische Boulevardzeitung Red Pepper.

Ist der Friedensprozess also blockiert? Derzeit touren die LRA-Unterhändler quer durch Uganda und versuchen die Bürger davon zu überzeugen, dass sie Frieden wollen. In Soroti, erinnert sich der Journalist Okurut, sagten sie vorletzte Woche das Gleiche wie die Regierung. "Sie sagen: Kony hat das Volk gebeten, ihm zu verzeihen - also sollte der Strafgerichtshof den Fall fallenlassen. Die Leute sagen dann: Wir sind zum Verzeihen bereit, aber wir wollen unsere entführten Kinder zurück. Damit Kony aus dem Busch kommt, um sie uns zurückzugeben, soll der Strafgerichtshof den Fall niederlegen."

Auch Hawa Asanye ist dieser Meinung. "Wir sind bereit, mit den Rebellen für den Frieden zu arbeiten", sagt die Flüchtlingsfrau. "Es ist doch besser, wenn sie aus dem Busch herauskommen. Und wenn man ihnen vergeben muss, dann für immer - sonst tun sie uns vielleicht wieder etwas an."

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