Justin Kurzels Film „Macbeth“: Triggert die kranke Psyche
Mit dem Kindstod als elterliches Trauma gelingt in Justin Kurzels „Macbeth“ eine moderne Psychologisierung der bekannten Charaktere.
Lady Macbeth bringt es auf den Punkt: „Was getan ist, ist getan und bleibt’s.“ In anderen Worten: Einer der großen Vorteile an der Verfilmung eines Theaterstücks, zumal wenn es gute 400 Jahre alt ist, besteht darin, dass man die Handlung nicht neu erfinden muss. Wie es mit Macbeth und seiner Lady endet, kann als bekannt vorausgesetzt werden und bedarf keiner Spoilerwarnung.
Statt auf den Effekt der überraschenden Wendung zu setzen, können sich die Filmemacher ganz auf das Wesentliche konzentrieren: auf die Ausstattung, das Sounddesign und so weiter. Mithin auf all jene Äußerlichkeiten, die im Zusammenspiel das schaffen, weshalb man ein 400 Jahre altes Theaterstück, dessen Plot bekannt ist, überhaupt noch mal sehen will: eine Interpretation. Natürlich möchte man auch einfach wissen, wie sie diesmal das inszenatorische Problem mit jenem Wald lösen, der nach Dunsinan wandert …
Schon in den ersten Einstellungen von Justin Kurzels „Macbeth“ wird klar, dass der Australier an der Front von Ausstattung und Sounddesign nicht enttäuschen will. Die Erde dampft, die Gewänder sind hären, Schwerter schlagen dumpf aufeinander und Männergebrüll dringt durch Nebelschwaden. So suggestiv malt der Film ein winterliches Schottland des frühen Mittelalters auf die Leinwand, dass man fast meint, die Tageshöchsttemperatur ablesen zu können, inklusive Windchill-Faktor, denn man fühlt regelrecht, wie es zieht über den Hügeln, aber auch in den Zelten und den steinernen Hallen.
Auch betont Kurzel seine Entschlossenheit zur eigenen Interpretation, indem er seine Verfilmung nicht mit der berühmten Hexenszene und ihrem „Fair is foul and foul is fair“-Spruch beginnen lässt. Hier zeigt die Kamera als Erstes die Leiche eines bläulich-weißen Säuglings in einem Erdgrab. Es ist eine kleine Beerdigung, den Eltern Macbeth (Marion Cotillard, Michael Fassbender) ist tiefe Erschütterung in die Gesichter geschrieben – und man sieht augenblicklich, dass diese „Macbeth“-Version auch an der Front des Schauspiels auf höchsten Einsatz geht.
Schlechtes Wetter, guter Film
„Macbeth“. Regie: Justin Kurzel. Marion Cotillard, Michael Fassbender u. a. Großbritannien 2015, 113 Min.
Dass Lord und Lady Macbeth keine eigenen Kinder haben, steht so auch bei Shakespeare, aber Kurzels Entscheidung hat weiterreichende Konsequenzen: Wo sonst die Verdrehung, im Wortsinn die Perversion, der Werte (“Foul is fair“) ein Leitthema ist, entwickelt Kurzel sein Drama tatsächlich entlang den Motiven einer eher modern gedachten Psychologie, die aus dem Kindstod ein fortschwelendes Trauma für die Eltern macht. Die Schlachterfahrungen eines Feldherrn wie Macbeth werden so gewissermaßen zu Trigger-Momenten für dessen kranke Psyche.
Dass Kurzel seinen Macbeth statt in theaterhaften Innenräumen zum größten Teil in der freien Landschaft spielen lässt, bei unwirtlichem, aber zugleich ungeheuer ästhetisch inszenierten Wetter, steht deshalb in einem interessanten Spannungsverhältnis zur eigentlichen Perspektive des Films. So echt der lehmige Untergrund gluckst, so zeitlupenhaft die Blutstropfen fliegen und so artistisch der Nebel einzelne Aktionen im Schlachtgetümmel hervorhebt, so sehr geht es hier ums Innere der Figuren. All die grausamen Taten, das Morden von Männern und Frauen und Kindern, in angebrachter Ungemütlichkeit in Szene gesetzt, sollen sich letztlich niederschlagen in den Psychen.
Wo Cotillard meisterhaft eine zunehmende Erstarrung ob der Kälte der Machenschaften ihrer Lady zeigt, teilt sich Fassbender in ebenfalls bravouröser Schauspielleistung vor unseren Augen gleichsam in zwei: Man sieht den Mann, den die eigene Grausamkeit verrückt macht, und man hört gleichzeitig den Darsteller, der dazu Shakespeares kluge Worte spricht. Leider wird die Intensität dieses Spiels immer wieder von der im Schmutz watenden Opulenz der Inszenierung in den Hintergrund gedrängt. Etwas weniger Intensität und weniger Opulenz würde das Interpretieren hier tatsächlich leichter machen.
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