Juso-Kongress: Ein bisschen Linksdrall reicht nicht aus
Die Jungsozialisten sind uneinig. Vorne sitzt die linke Mehrheit in T-Shirts, hinten die pragmatische Minderheit in Sakkos. Münteferings Auftritt ernüchtert.
MÜNCHEN taz | Den Kanzlerkandidaten haben sie am Tag zuvor noch brav bejubelt. Jetzt, am Samstagabend, soll Parteichef Franz Müntefering zum Bundeskongress der Jusos nach München kommen. Er will den Parteinachwuchs für den schwierigen Bundestagswahlkampf motivieren. Doch heute will die Jugend nicht Jubeln. Die Jusos wollen diskutieren. Müntefering bekommt ihren geballten Ärger ab.
Die aktuelle Politik der SPD sei nur noch "begrenzt glaubwürdig", ruft die frisch wiedergewählte Juso-Bundesvorsitzende Franziska Drohsel. "Es muss Schluss sein mit dem Gerede von einem Zurück zur neuen Mitte." Die Berliner Juso-Chefin Anne Knauf sagt es wenig später noch direkter: "Die Menschen glauben uns nicht mehr, aufgrund der Politik, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben." Und: "Ich sehe eine Kontinuität marktradikaler Reformen." Vorne in der Halle bricht Jubel aus. Ganz hinten wird gebuht.
Franziska Drohsel und die Juso-Spitze versuchten an diesem Wochenende der SPD wieder ein Stück mehr Linksdrall zu geben. Doch für den wirklich großen Druck fehlt es den Jusos bei ihrem Bundeskongress in einem Kongresszentrum am Rande Münchens an Einigkeit.
Vorne in der Halle sitzt die linke Mehrheit, hinten die pragmatische Minderheit. Vorne tragen sie T-Shirts, hinten Sackos und Frank-Walter-Steinmeier-Buttons. In der ersten Reihe sitzt Franziska Drohsel. In der letzten Reihe der Hamburger Danial Ilkhanipour, der Putschist von Eimsbüttel.
Im vergangenen Jahr hat er den ehemaligen Juso-Bundeschef Niels Annen um seinen Bundestag-Direktstimmkreis gebracht. Seine Kritiker sagen, Ilkhanipour ginge es vor allem um Macht und Posten. Ilkhanipour sagt: "Die Jusos sind zu sehr ein linker Richtungsverband. Das grenzt junge Menschen aus. Wir sollten uns breit aufstellen."
So verzetteln sich Linke und Rechte beim Bundeskongress stundenlang in ihre kleinen Kämpfe. Es gibt Kampfkandidaturen um den Bundesvorstand und Anträge und Gegenanträge zur Geschäftsordnung. Besonders kraftvoll auftreten können die Jusos so nicht.
Er könne sich noch gut erinnern, als die Jusos 1969 kraftvoll die Linkswende ausriefen, erzählt Franz Müntefering auf der Bühne. Hinten in der Halle schreit jemand: "Pfui". Müntefering sagt: "Wir sind damals auf die Bühne gestürmt und haben geschrieen: Wir sind die SPD der 80er Jahre." Heute stürmt niemand auf die Bühne. Man spürt eher die Angst, von der SPD könnte 2020 nicht mehr viel übrig sein.
Wenn die SPD auch nach der Wahl noch regieren will, muss sie unbeliebte Kompromisse eingehen. Eine Koalition mit der FDP wollen zum Beispiel die Jusos nicht. Eine Koalition mit der Linken schließen Müntefering und die Parteispitze aus. Vor der Halle sagt Müntefering zu Journalisten, das Programm der Linken sei populistisch und ökonomisch unvernünftig. Als drinnen ein Delegierter etwas Ähnliches erklärt, wird er ausgebuht.
Bleibt noch das unbeliebte Weiterwursteln in der großen Koalition. "Wir wollen regieren" ruft Müntefering. Er warne davor, zu glauben, es könne gut für die SPD sein, sich in der Opposition neu zu organisieren. Da klatscht kaum jemand. Motivierte Wahlkämpfer sehen anders aus. "Die Motivation ist nicht das Problem", sagt Franziska Drohsel später in einer Pause. Schwierig sei vielmehr die in der großen Koalition abhanden gekommene Glaubwürdigkeit. "Und wir haben das Problem, dass die Bürger als Antwort auf die Krise keine radikal linke Politik suchen."
Als sich in der Halle die Kritiker ausgesprochen haben geht Müntefering noch einmal zum Rednerpult und erklärt den Jungen, wie die Politik in Berlin funktioniert. Zur großen Koalition habe es keine Alternative gegeben, weil die FDP nicht zu einem Bündnis bereit gewesen sei. Jeder müsse in so einer Koalition Abstriche machen. Und ihre Kritik am Wahlprogramm könnten sich die Jusos eigentlich auch sparen. "Das ist unser Regierungsprogramm und wer da jetzt noch Änderungen will, dem muss man sagen: zu spät", meint Müntefering. Es wird still in der Halle. Von so viel Realpolitik sind die Jusos ernüchtert. Die Frage, ob Links oder Rechts, interessiere ihn eigentlich gar nicht, sagt Müntefering. "Im Grunde ist das ein Kreis."
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