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■ Juppé nimmt das Wort „Verhandlungen“ nicht in den MundKühl wie ein Firmenmanager

Frankreich liegt lahm. Seit neun Wochen sind die Studenten auf den Straßen. Seit dem 23. November streiken die Eisenbahner. Seit vergangener Woche haben sich große Teile des öffentlichen Dienstes – von der Post bis zu den Schulen – der Bewegung angeschlossen. Millionen Menschen demonstrieren. Ihre Forderungen richten sich ausnahmslos an die Regierung. Deren Chef aber wartet ab.

Erst am Dienstag abend, zwölf Tage nach Beginn des härtesten Konfliktes seit vielen Jahren, meldete Juppé sich zu Wort. Und wie. Seine Botschaft an das aufgerührte Volk: Ich bleibe bei meinem Reformprojekt. Kein einziges Mal nahm er das Wort „Verhandlungen“ in den Mund. Er bot lediglich eine „Abstimmung“ über die Renten im öffentlichen Dienst – nur ein Teilaspekt – an. Den großen Sparplan, der fast allen Franzosen angst macht, behält Juppé unverändert bei. Kühl wie ein Firmenmanager pries er ihn als „wichtig, gerecht und dringend“.

Von den Streikenden erwartet der Premierminister die bedingungslose Kapitulation. Er selbst bietet nichts an. Statt zu vermitteln, hetzt er die Franzosen aufeinander los. Vor Wochen schon schürte er den Sozialneid, indem er von den Beamten als „Privilegierten“ sprach. Inzwischen hat er verstanden, daß die meisten Franzosen mit den Streikenden sympathisieren – nicht etwa, weil sie deren Forderungen im einzelnen immer unterstützen, sondern weil sich die Angst vor der sozialen Verschlechterung quer durch die Gesellschaft zieht. So unterscheidet Juppé jetzt zwischen den „einfachen und ehrlichen Streikenden“ sowie den Gewerkschaften mit ihren „Lügen“.

Einen Vorschlag, die Krise zu beenden, macht Juppé auch nicht. Er markiert lediglich den Starken, der nichts als die Sprache der Macht kennt. Er setzt darauf, daß die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust in der privaten Wirtschaft groß genug ist, um ein Übergreifen des Streiks zu verhindern, und daß die Protestbewegung erschöpft in sich zusammenbrechen wird.

In der explosiven sozialen Lage, in der sich das Land befindet, ist das ein gefährliches Spiel. Für die Gewerkschaften, die zum Streik aufgerufen haben, steht ihre politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Für die Streikenden selbst, die seit Beginn des Arbeitskampfes keinen Lohn bekommen, wird die materielle Situation immer unerträglicher. Juppé tut Frankreich damit keinen Gefallen. Dem Land stehen harte Auseinandersetzungen bevor. Für die zu erwartende Eskalation trägt der Regierungschef die Verantwortung. Dorothea Hahn, Paris

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