Junge Israelis in Berlin: "Berlin ist einfach perfekt für uns"

Die Großeltern wurden in Deutschland verfolgt, vertrieben und gequält - ihre Enkel haben in Berlin ihre Wahlheimat gefunden. Bis auf die Sache mit der Bürokratie.

Spurensuche in Berlin. Bild: Matthis Dierkes / photocase.com

Zur Zeit kommen sehr viele Israelis nach Berlin, um zu studieren, hier zu arbeiten oder sich künstlerisch zu verwirklichen. "Berlin ist vor allem bei jungen Israelis total im Trend", sagt Carmit Fischer von der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft. "Es ist eine junge, wilde Stadt wie Tel Aviv, da fühlen sie sich zu Hause. Es ist im Ausland, aber trotzdem vertraut". Viele Israelis hätten außerdem noch verwandtschaftliche oder emotionale Bindungen an Deutschland.

Wer deutsche Eltern oder Großeltern hat, kann einen deutschen Pass beantragen. Eine Möglichkeit, die immer mehr Israelis nützen. "Als ich den Pass in den Händen hielt, habe ich überhaupt nicht nachgedacht, wie seltsam das ist", erzählt Niva Dloomy, die seit einem guten Jahr mit ihrem Mann Adar in Berlin lebt. "Es war eben eine super Möglichkeit, nach Europa zu gehen." Weg von Israel war also die erste Entscheidung, dann überlegten Niva und Adar, welche Möglichkeiten es für sie gab: Adar hatte gerade sein Studium der bildenden Kunst abgeschlossen, Niva ist Schauspielerin. Freunde erzählten ihnen von Berlin als lebenswerter Stadt mit bezahlbaren Mieten - und so fiel die Entscheidung: "Berlin ist einfach perfekt für uns", sagt Adar. "Ich brauche eine Pause von Israel."

Der Nahostkonflikt, kulturelle und politsche Spannungen, die ständige Präsenz der Armee wurden dem Paar unerträglich. "Israel und ich sind keine geschiedenen Leute", sagt Adar, "aber wir brauchen eine Beziehungspause." Und Deutschland? "Wir haben nicht alle Deutschen kennen gelernt, aber die, die wir kennen, lieben wir", sagt Niva. An Berlin gefällt ihnen vor allem die Ruhe, die Geduld und die gute Organisation.

Mit ihren fröhlichen Locken und ihrem offenen Gesicht sieht Niva gar nicht so aus wie jemand, der nach Ruhe sucht, doch Adar pflichtet ihr bei: "Alles ist so viel langsamer hier. Niemand schiebt und drängelt auf der Straße, niemand schreit herum. Das tut gut nach sechs Jahren Tel Aviv".

Die hebräische Sprache kennt keine "Nachkriegszeit"

Die ersten deutschen Worte kennen Niva und Adar aus Filmen: "Raus! Schneller! Papiere!" In Berlin haben sie ein Wort gelernt, das die hebräische Sprache nicht kennt: "Nachkriegszeit". Die jungen Deutschen haben ihre Geschichte überwunden", sagt Adar. "Davon sind wir in Israel noch weit entfernt." Wer Verfolgung, Verlust von Familienmitgliedern und Lagerhaft erlebt hat, wird davon ein Leben lang nicht losgelassen. Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel tut ihr Übriges, so dass die Vergangenheit aktuell gehalten wird. "Wenn ich an die Geschichte denke, dann denke ich an meine Großmutter", sagt Niva. "Es macht mich fast verrückt, dass ich ihr nicht mehr sagen konnte, dass wir in ihre Stadt zurückgekehrt sind - und ich würde mich so gerne mit ihr auf Deutsch unterhalten."

Nivas Berliner Großmutter hat nie sehr gut Hebräisch gesprochen. Sie verließ Deutschland 1936, aber in ihrem Kibbuz lebten viele, die aus Deutschland kamen - und so sprach sie bis zu ihrem Tod vor allem deutsch. Seit Niva in Berlin lebt, denkt sie oft an ihre Großmutter. Sie hat das Haus gesucht, in dem sie gelebt hat und sie hat sogar von ihr geträumt. "Meine Großmutter hat kaum von Deutschland gesprochen - ich weiß nicht, ob sie nicht davon sprechen wollte, oder ob es wegen ihres Hebräisch war", erzählt Niva, "Manchmal hat sie mir Fotos aus ihrer Kindheit gezeigt. Aber sie ist nie zurückgekehrt, sie hat nie gefragt, was eigentlich aus ihrem Haus in Berlin wurde."

Seit sie in Berlin leben, lesen Niva und Adar viel über die deutsche Geschichte vor und nach dem Krieg, vor und nach der Mauer. Sie besuchen Ausstellungen und diskutieren untereinander über die Geschichte. Mit ihren deutschen Freunden sprechen sie kaum darüber. "Über allgemeine historische Zusammenhänge sprechen wir schon manchmal", ergänzt Niva, "aber nicht über Einzelschicksale. Es interessiert mich nicht, was jemandes Großeltern getan haben."

Bei aller Liebe zu Berlin, mit einem konnten sich die Dloomys nicht anfreunden: mit der deutschen Bürokratie. Unzählige Formulare gibt es auszufüllen, und alles wird haargenau genommen. Und dann ist Niva auch noch diesem Beamten begegnet, der nicht verstehen konnte, wie Niva Deutsche sein kann ohne deutsch zu sprechen. "Ich wünschte, ich hätte ein Geschichtsbuch dabei gehabt, dass ich ihm in die Hand hätte drücken können", erzählt sie.

Sehnsucht nach Europa

Ariel Nil Levy spielt mit Niva zusammen in einem deutsch-israelischen Theater-Ensemble. Er war 32 Jahre lang Israeli, jetzt ist er Deutscher. Für seine Einbürgerung musste er den israelischen Pass aufgeben. Seine Großmutter, die die deutschen Todeslager überlebt hat, hat ihn als Kind mit nach Österreich und Deutschland genommen. Was sie als junge Frau erlebt hat, erzählte sie nicht. Ein Halbsatz, als sie im Wald spazieren gehen: "Damals sind wir durch den Wald geflohen ..." und dann wieder Schweigen. "Sehr viele in dieser Generation haben über ihr Leid geschwiegen", erklärt sich Ariel ihr Verhalten, "sie wollten es nicht weitergeben an die nächste Generation."

Erst in den letzten zwanzig Jahren hat seine Großmutter angefangen von der Angst, dem Schrecken, den Erniedrigungen zu erzählen. Der achtjährige Ariel fühlt sich in Wien auf Anhieb zu Hause. "Ich bin Österreicher" sagt er, als er von seiner ersten Reise nach Österreich zurückkommt. In der Schule hält man ihn deshalb für durchgeknallt. Obwohl die Zugehörigkeit zu Deutschland in der Familie nicht offen ausgesprochen wird, nimmt Ariel von klein auf die starke Verbindung wahr: "Da war eine Sehnsucht, die war fast tödlich". Und er wiederholt: "Wenn ich nicht nach Europa zurückgekehrt wäre, wäre das tödlich für mich gewesen."

Auch Ariel sagt "zurückgekehrt", obwohl er vorher nicht in Deutschland gelebt hat, und er sagt es mit Nachdruck. Sein Deutsch ist nach 10 Jahren beinahe akzentfrei, er kennt alle Nuancen der Sprache. Trotz seines hintergründigen Humors wirkt er sehr ernst, seine Worte unterstreicht er mit dezenten, aber bestimmten Gesten. Mit 16 hat Ariel begonnen, deutsch zu lernen. Sein Traum war es, irgendwann auf deutsch Theater zu spielen. Als 2001 Sharon an die Macht kommt, geht Ariel nach Deutschland.

Zehn Jahre später ist sein Traum wahr geworden: Ariel spielt auf deutsch, in Deutschland und in Israel. In beiden Ländern wurden sein Ensemble preisgekrönt. Die Stücke für sein Vier-Schauspieler-Theater schreibt er zusammen mit seiner Freundin Hila Golan. Thema ist dabei immer wieder die komplizierte Beziehung von Deutschland und Israel. Ihr erstes Stück, "Schweigeminute", verbindet die beiden Erinnerungskulturen. "In beiden Ländern wird viel über die Shoah gesprochen", sagt Ariel, "aber beide Völker haben zugleich eine Mauer um dieses Thema gebaut."

Zynismus als Schutz

Die Israelis sprächen oft zynisch darüber, die Deutschen seien übervorsichtig. In beiden Ländern werde die Geschichte grob und oberflächlich vermittelt, jeweils so, dass sie den eigenen Narrativen dient. "Die Deutschen behaupten, alles zu wissen über den Holocaust und verschließen die Ohren. Dabei haben sie nie nach ihrer eigenen Familiengeschichte gefragt." Der israelische Zynismus sei eine andere Art, der unerträglichen Realität aus dem Weg zu gehen.

In seinem Stück versuchen Ariel und Hila, genau die Themen anzurühren, die so oft ungesagt bleiben. Nur die Kunst kann dem nahe kommen, was sonst unaussprechlich bleibt, weil dafür die Worte fehlen, und weil die einzigen, die das berichten können, ermordet wurden. "Primo Levi schreibt: 'Niemand zeugt für den Zeugen'. Diese Quelle ist unwiederbringlich weg. Aber wir versuchen, die Sprachlosigkeit darüber sichtbar zu machen.", erklärt Ariel das Konzept.

In Deutschland hat das Publikum das Stück sehr positiv aufgenommen. Aber für viele Israelis war es ein Schock, die Sirenen und das "Izkor, am Israel" (Erinnere Dich, Volk Israel), das an Gedenktagen gesprochen wird, auf der Bühne zu sehen - in einem eingespielten Video, nachgesprochen von einer Deutschen, die als strenge Lehrerin der Schülerin die Worte einbläut. Auch für Ariels Großmutter war dieses Stück nicht einfach. Aber sie ist stolz auf das, was ihr Enkel tut - und will bei der nächsten Aufführung in Israel mitspielen.

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