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Archiv-Artikel

Julia schwer verschnupft

HIPHOPTHEATER Im Maxim Gorki Theater in Berlin hat der junge Regisseur Nuran David Calis versucht, Shakespeares „Romeo und Julia“ mit der Streetcredibility des Hiphop in die Gegenwart zu ziehen

Paris und Romeo werden am Ende nicht sterben, sie stehen nur noch dumm da angesichts der völlig sinnlosen Gewalt

VON JÖRG SUNDERMEIER

Es ist beliebt, Stücke der Theaterklassik zu aktualisieren, da man ihrer Allgemeingültigkeit nicht mehr glaubt. Man verlegt sie in die Jetztzeit, macht sich an der Sprache zu schaffen, behält aber die Parabel bei. So hat es auch Nuran David Calis getan in seiner „Romeo und Julia“-Fassung am Gorki Theater in Berlin. Shakespeares Geschichte von der Liebe zweier, die sich nicht lieben dürfen, da ihre Familien miteinander verfeindet sind, übersetzte er in eine Hiphop-Geschichte.

Zwei Gangs stehen sich gegenüber: die Aggro Montagues und die Aggro Capulets. Das Stück beginnt mit einem Gangsterfilmtrailer, der die Gangs vorgestellt, die Figuren, die Vorgeschichte. Den Capulets gehören die Clubs, den Montagues die Straßen. Die einen sind reich, die anderen sind arm, beide lieben den Hiphop. Um die ewigen Kämpfe zwischen beiden zu entscheiden, inszeniert Lorenzo, ein Freund beider Gangs, ein Hiphop-Battle in seinem Club.

Dann entspinnt sich die bekannte Geschichte von Liebe, Missverständnis und Tod. Allerdings erspart uns Calis nicht nur Szenen und Figuren, sondern auch zwei Tote – Paris und Romeo werden am Ende keinen letzten Zweikampf haben. Sie stehen nur noch dumm da, angesichts der vielen völlig sinnlosen Gewalt, deretwegen sich Julia – vermeintlich – umbringen musste. Ob Julia wieder erwacht, erfahren wir nicht. Hat sie zu viel Gift, hier Kokain oder Speed, genommen? Das Ende bleibt offen, die Tode erschienen Calis weniger wichtig als die Kaputtheit der drei Figuren.

Calis hat dem Stück neue Elemente eingefügt, lässt die Schauspieler Rhymes Vortragen, und „Votze“ und „gefickt“ hört man oft. Hiphop halt. Die Schauspieler, zu einem gewissen Teil Jungschauspieler von der UDK und sogar – voll authentisch – Schülerinnen und Schüler der berüchtigten Neuköllner Rütli-Schule, haben sichtbar großen Spaß an der Sache. Max Simonischek, der in anderen Inszenierungen sein Jungmännertum nicht verbergen kann, ist in diesem Stück als Romeo damit genau richtig. Auch Mika Adler als Mercutio und Picco von Groote als Mia überzeugen, Johann Jürgens (er spielt Paris) muss zu sehr Hagestolz sein, Anika Baumann ist für eine Hiphop-Queen zu sehr eine seufzende Schönheit. Gunnar Teuber dagegen als Lorenzo ist wunderbar, übertrieben Zigarre rauchend oder Unmengen von Pulver schnupfend wird er zum heimlichen Star des Abends.

Das aber liegt nicht nur an seiner Leistung, sondern auch an seiner Rolle – er ist der Conferencier, nicht nur die vermittelnde Figur, er sagt auch die echten Hiphop-Acts an, die kurze Gastauftritte haben (an jedem Aufführungstag andere Acts) und wandert dabei durch das Publikum, das, weil im Theater, steif bleibt, den HipHoppern also keine Konzertatmospähre gibt. Diese immer wieder hineingeholte Authentizität aber blamiert die Schauspieler, die schlechter rappen und tanzen als die Acts und die Rütli-Schüler, sie stellt auch die Parabel des Stücks als solche infrage. Es ist kein langer Weg von der „Votze“ zu „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“: Dadurch klingt das, was Liebesworte sein sollen, hohl neben der vielen Streetcredibility.

Schlimmer wiegt, dass Calis, die Parabel, die er bis auf die Toten beibehalten hat, nicht in Einklang zum Restverlauf des Stückes bringt. Die Kämpfe nämlich, die sich Streetgangs heute liefern, sind nicht mehr jene, die die Capulets und die Montagues des 16. Jahrhunderts umtrieb – aus dieser Zeit aber nimmt Shakespeare seine Geschichte. Modernes Bürgertum und Proletariat haben andere Liebesgeschichten.

Will man partout übersetzen und die Übersetzungsleistung nicht dem Publikum überlassen, so hätte jede einzelne Szene anders entwickelt werden müssen. Der vielgelobte Nuran David Calis jedoch erblickt im Hiphop-Drama noch einmal die großen Familiendramen. Damit ist er leider auf die Poserposen hereingefallen, die er allzu wörtlich nimmt.