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■ Jürgen von der Lippes Kinodebüt „Nich' mit Leo“ hatte Weltpremiere in MünsterDeutsche Komik am Rande der Sintflut

Münster (taz) – Es sei, weil's wenig glaubhaft klingt, an Eides Statt versichert: zwei Stunden vor der Deutschlandpremiere des einigermaßen lästerlichen und ergo von der Kirche dick mit Bannstrahl belegten Lichtspiels „Nich' mit Leo“ zogen Wolken auf über dem Ort der frevelhaften Tat. Donner grollte, Blitze gingen hernieder, und der sich verdichtende Regen schien eine Sintflut anzukündigen. Filmtheater, Ausführende und der dem Schauspiel beiwohnende Plebs blieben freilich einstweilen verschont, mögen sich aber den Wink des Himmels zur Warnung gereichen lassen. In Münster spaßt man nicht mit dem Katholizismus. Bevölkerten nicht dermaßen viele StudentInnen das Weichbild, der westfälische Marktflecken könnte glatt als Paderborn durchgehen.

Einst sperrte man hier die Leichen der Wiedertäufer in Käfige und hängte sie am Kirchturm auf. Was Wunder, daß bresthafte Passanten gesenkten Hauptes durch die Straßen schleichen. Wer nicht von der Kirche gegängelt wird, den maßregelt die totalitäre Kaste der Pedalritter, bis daß der ortsfremde Wanderer Demut zeigt und nach Erlösung winselt.

Gleich mehrfach hat sich Münster in die deutsche Filmgeschichte eingeschrieben. Ruth Leuwerik debütierte hier als junge Elevin, Ulrich Schamoni und Michael Lentz drehten hier anno 67 „Alle Jahre wieder“, und auch Regisseur Ralf Gregan, auf der Suche nach einem Drehort, der die nordrhein- westfälische Filmförderung rechtfertigen würde, fand an den Strand der Aa. Gefilmt wurde reichlich in Münster und Umgebung; was Wunder, daß lokale Patrioten, StatistInnen und Zaungäste nur so strömten.

Von Kopf bis Fuß auf Amüsement eingestellt, klatschte man schon den Vorspann-Credits beflissen Beifall, am lautesten all jenen, die höchstselbst zur Premiere angereist waren. Man kann Margarethe von Trotta nur dringend empfehlen, ihren nächsten Film in der Provinz zur Uraufführung zu bringen, und sei es auch ein Trauerspiel – hier sind die Autogrammjäger noch begeisterungsfähig, die von der lokalhistorischen Relevanz des Ereignisses wie berauschten Pressefuzzis folgsam und willig...

Hoch ging's her im erstbesten Haus am Platze, das in Ermangelung eines roten Teppichs noch schnell passende Auslegware herangeschafft hatte. In all dem Trubel sah ohnehin niemand, was da gerade plattgetreten wurde. Unversehens herrschten in der Bischofstadt reinweg unchristliche Verhältnisse. Eheleute verloren einander für immer aus den Augen, Kinder wurden zu Waisen, Karsten Speck sprang über Brüstungen, Herbert Feuerstein mußte seine Honneurs inmitten der Masse auf der Steiltreppe machen. Angetreten, sich vom Volke huldigen zu lassen, war neben den Genannten der dreifaltig auftretende Hauptdarsteller und in Tateinheit als Drehbuchautor verantwortlich zeichnende Entertainer Jürgen von der Lippe, begleitet von Christiane Brammer, Cornelia Corba und Dirk Bach.

Harald Schmidt ließ sich entschuldigen. So entging ihm die eine oder andere Ovation, eine doch befremdliche Publikumsreaktion, allein erklärbar aus dem Umstand, daß Münster nicht alle Tage ein solches Staraufgebot frei Haus geliefert bekommt. Denn das in Rede stehende Lichtspiel geriet so wie alle deutschen Komikerfilme: Es ist eine für die mitwirkenden TV- Stars maßgeschneiderte Nummernrevue mit mal mehr, zumeist aber minder gelungenen Sketchen, einigen Landser- und Schwulenwitzchen, immerhin antiklerikal, insgesamt von Karl May, der Bibel sowie Curt Goetz und einzelnen Heinz-Rühmann-Filmen beeinflußt; wie hierzulande üblich weitgehend einfallsfrei inszeniert und meiner Gewährsfrau zufolge auch frauenfeindlich, wobei allerdings der Einwand gestattet sein möge, daß hier durchweg mit Stereotypen gewerkelt wurde und folglich auch die Männer sich nicht eben von ihrer reifsten Seite zeigen. Womit so weit alles gesagt wäre. Harald Keller

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