Jürgen Vogt über das entmachtete Parlament in Venezuela: Es geht ums Kapital
Venezuelas Chavisten wähnen sich am Ziel. Nachdem die Verfassunggebende Versammlung (VV) der Nationalversammlung sämtliche Kompetenzen entzogen und sich selbst übertragen hat, können sie ohne die lästigen parlamentarischen Störenfriede der Opposition agieren. Dabei wäre dieser Schritt gar nicht nötig gewesen. Die VV versteht sich ohnehin als oberstes Organ im Staat. Doch Attraktivität für ausländische Investoren und Gläubiger verlangt klare Verhältnisse. Für internationale Verträge, sei es zur Erschließung neuer Ölfelder oder Erzvorkommen oder für Kreditabkommen, bedarf es bislang der Zustimmung des Parlaments. Fehlt diese, könnten die Verträge nach einem Machtwechsel von internationalen Schiedsgerichten für ungültig erklärt werden.
Dass sich die VV nun lediglich die gesetzgeberischen Kompetenzen aneignete, anstatt das Parlament aufzulösen, beweist, dass es ihr genau darum geht: garantierte Rechtssicherheit für Investoren, die die Einhaltung möglicher Verträge auch nach einem Machtwechsel einklagbar machen. Denn das Überleben des Regimes hängt davon ab, ob es neue Geschäftspartner und Finanziers gewinnen kann. Ob die Rechnung am Ende aufgeht, ist zweifelhaft. Zwar haben mit Russland und China die wichtigsten Verbündeten die VV anerkannt. Für zahlreiche Staaten, darunter die USA, ist aber weiterhin die Nationalversammlung die legitime Institution. Verlässlichkeit sieht anders aus.
Immerhin: Seit die VV tagt, sind die Straßenproteste merklich abgeflaut. Diesen Punkt kann die Regierung für sich verbuchen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten aber verschlechtert sich weiter. Es scheint, als würde das Regime in Caracas erst implodieren, wenn ihm das Geld für Korruption und Klientelismus ausgeht. Wer mit diesem Regime Geschäfte tätigt, macht sich mitverantwortlich für die Verlängerung der humanitären Katastrophe.
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