Jürgen Trittin zum Atomausstieg: "Für Lob gibt es keinen Grund"
Die Bundesregierung vertraue nach dem Atomausstieg nicht auf Erneuerbare Energien, sondern auf Kohle, kritisiert Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.
taz: Herr Trittin, die Koalition will 2022 aus der Atomenergie endgültig aussteigen. Müssen Sie Schwarz-Gelb loben?
Jürgen Trittin: Dafür gibt es keinen Grund. Die Regierung korrigiert einen Irrtum, den der vor sieben Monaten beschlossenen Laufzeitverlängerung, mit einem weiteren Irrtum.
Mit welchem?
Jürgen Trittin, 56, Sozialwirt, seit 2009 Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Von 1990 bis 1994 war er Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten in Niedersachsen, von 1998 bis 2005 Bundesumweltminister und in dieser Funktion maßgeblich am Atomausstieg beteiligt, den die rot-grüne Bundesregierung im Juni 2000 beschloss.
Sie verbindet den Ausstieg aus der Atomenergie nicht mit einem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie plant den zusätzlichen Bau von fossilen Kraftwerken mit einer Leistung von 10 Gigawatt. Kommt es dazu, beschert uns dies 25 Jahre lang einen massiven Konflikt zwischen erneuerbarem Strom und Kohlestrom im Netz, denn so lange werden solche Anlagen abgeschrieben. Damit bremst Schwarz-Gelb den Ausbau der Erneuerbaren aus.
Die Koalition argumentiert, dass diese Kraftwerke die Grundlast schultern, die bisher von Atomenergie kam.
Sie klammert sich an eine veraltete Idee. Statt in eine neue Energiestruktur einzusteigen, geprägt von Effizienz und Erneuerbaren, ersetzt sie die eine Grundlast - Atom - durch die andere - Kohle. Dabei handelt es sich um keine Petitesse, sondern es geht um die Frage: Wird Deutschland weltweit Vorreiter einer nachhaltigen Energiepolitik? Oder ersetzt es nur das eine Übel durch ein anderes?
Wie bewerten Sie die Ideen der Ethikkommission?
Die Kommission hat einen sehr respektablen Bericht vorgelegt. Selbst diejenigen, die einen Ausstieg immer ablehnten, kamen zu dem Ergebnis: Deutschland kann innerhalb von zehn Jahren raus, wenn man sich anstrengt, sogar schneller. Und die Regierung legt einen Plan auf den Tisch, in dem von zehn Jahren keine Rede ist - sondern von elfeinhalb Jahren.
Das Ausstiegsdatum liegt nah an dem von Rot-Grün.
Man darf das Datum nicht pauschal betrachten. Wer Anlage für Anlage durchgeht, stellt fest, dass die Laufzeiten zwischen ein und sechs Jahren länger sind als von Rot-Grün geplant. Zwar will die Koalition einige Altmeiler sofort abschalten, doch mittelfristig wird vor 2018 kein einziges weiteres Atomkraftwerk vom Netz gehen.
Die acht Meiler, die durch das Moratorium stillstehen, werden eingemottet. Ist das nichts?
Schwarz-Gelb hat eine gewaltige Hintertür eingebaut: Der Beschluss nimmt eines der ältesten Kraftwerke, das seine Betriebsgenehmigung eigentlich verlieren soll, ausdrücklich aus. Es soll am Netz gehalten werden, für den Fall eines Blackouts.
Wo ist das Problem? Eine solche Reserve schadet nicht.
Sie ist technisch und rechtlich gar nicht möglich. Entweder laufen Anlagen, dann sind sie beim Stromausfall schnell einsetzbar. Oder sie laufen nicht, dann brauchen sie längere Zeit, um wieder angefahren zu werden.
Politisch ist der Atomausstieg jetzt abgeräumt. Was heißt das für die Grünen?
Erstens: Die Grünen haben sehr gut damit gelebt, als es den rot-grünen Atomausstieg vor der Laufzeitverlängerung noch gab. Seit 2005 haben wir bei jeder Wahl zugelegt und sind schon lange jenseits eines Zustandes, wo wir auf ein Thema angewiesen sind.
Dennoch: Mit einem gelösten Problem gewinnt man keine Wahlkämpfe.
Zweitens prophezeie ich Ihnen, wenn Schwarz-Gelb in diesem Land noch einmal genauso viele Kohlekraftwerke bauen will, wie jetzt in der Fertigstellung sind - und das ist der Plan -, kommt es an jedem Standort zu massiven Auseinandersetzungen mit den Menschen vor Ort.
Ein Hemmnis für Schwarz-Grün hat sich erledigt. Rückt eine solche Koalition näher?
Wir wollen die Gesellschaft ökologisch und sozial modernisieren. Mit wem wir das durchsetzen können, mit dem können wir uns vorstellen Regierungen zu bilden. Nur ich bleibe dabei: Wenn ich einen Strich unter alle inhaltlichen Vorstellungen ziehe, dann gibt es immer einer größere Schnittmenge mit der SPD als mit der CDU - obwohl sich zwischen beiden gerade eine große Kohle-Koalition andeutet.
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