Jürgen Gottschlich über ErdoĞans Attacke auf zwei TV-Sender: Berichten ist Terror
Es war immer schwierig, in der Türkei guten Journalismus zu machen, aber noch nie so schwierig wie heute. Das Mindeste, was kritische Kollegen erwartet, ist eine Anklage wegen Beleidigung des Präsidenten mit Geldstrafen, die für jede kleinere Zeitung ruinös sind. Es kann aber auch passieren, dass die Polizei vor der Tür steht und man wegen eines beliebig konstruierten Delikts in U-Haft landet. Eine Kollegin von Hürriyet hat gerade gestern beschrieben, dass sie seit Wochen einen kleinen gepackten Koffer bereithält, um auf den Fall des Falles vorbereitet zu sein.
Seit Erdoğan und seine AKP im Juni dieses Jahres ihre absolute Mehrheit verloren haben und diese nun am kommenden Sonntag zurückerobern wollen, hat sich die Abneigung des Präsidenten gegen kritische Berichte aber geradezu in eine Hysterie gesteigert. Unabhängiger Journalismus gilt ihnen als Anmaßung, wenn nicht als „Vaterlandsverrat“ oder Propaganda für eine Terrororganisation. So wird auch der jüngste Angriff auf das Medienhaus der Ipek-Holding damit begründet, die beiden Fernsehsender Bugün TV und Kanaltürk hätten sich Terrorpropaganda zuschulden kommen lassen.
Doch damit nicht genug. Erdoğan lässt nicht nur Journalisten einsperren, er versucht auch, die Eigentümer der Mediengruppen einzuschüchtern oder zu kriminalisieren. Ohnehin gibt es bis auf wenige kleine linke Zeitungen nur noch zwei relevante Mediengruppen, die Erdoğan journalistisch attackieren. Die eine ist die Dogan-Holding mit Hürriyet als Flaggschiff, die andere sind die Medienorganisationen, die zum Umfeld der islamischen Gülen-Bewegung gehören. Gegen beide lässt Erdoğan seit Monaten mit allen Mitteln vorgehen, Morddrohungen eingeschlossen.
Die Wahlen am kommenden Sonntag werden deshalb auch darüber entscheiden, ob kritischer Journalismus in der Türkei noch möglich ist. Wenn Erdoğan gewinnt, ist eine freie Presse in der Türkei Geschichte.
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