Jüdische Viehhändler nicht mehr erwünscht

■ 52. Jahrestag der Reichspogromnacht / Oder: Wie Juden erst diffamiert und dann vernichtet wurden

In der kommenden Woche jährt sich die Reichspogromnacht zum 52. Mal. Dieser Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 (“Reichskristallnacht“) war nicht der Beginn der „Sonderbehandlung“ der Jüdinnen und Juden. So hat die systematische Ausschaltung jüdischer BürgerInnen aus dem Wirtschaftsleben gleich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eingesetzt. Die Autorin Doris Kachulle beleuchtet am Beispiel des Viehhandels, der eine Domäne der Juden war, und anhand von Akten des alten Bremer Schlachthofs diesen Prozeß der schleichenden Verdrängung.

“Die jüdischen Viehhändler sind der Krebsschaden der Landwirtschaft“, schrieb der Bremer Schlachthofdirektor Rohdenburg an den zuständigen Senatskommissar Vagts. Sie seien auszuschalten, nicht nur vom Schlachthofbetrieb, „sondern überhaupt“. Viele Städte gingen „schon so weit, jüdischen Einsendern nichts mehr abzunehmen“; einige hätten es sich „grundsätzlich verbeten, daß sich die jüdischen Händler irgendwie an der Fleischversorgung beteiligen.“

Geschrieben nach dem 10. November 1938? — Der Brief trägt das Datum vom 14. September 1933. Die „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ hatte nicht erst mit der „Reichskristallnacht“ und der Verordnung vom 12. November 1938 begonnen. Schon Jahre vorher hatte ein beispielloser Verdrängungsterror eingesetzt, der oft „von unten“ an der Reichsgesetzgebung vorbei organisiert wurde. Wie von Senatskommissar Erich Vagts, der auf Rohdenburgs Schreiben hin ohne Not ein Schlachthofverbot für jüdische Viehhändler aussprach.

15. Oktober 1933. Tag des Handwerks. Nach dem Festumzug geht es in Adolf Clausens Schlachthofkneipe hoch her. Hier gibt die Liedertafel der Bremer Fleischerinnung ein Ständchen, dort feiern Mitglieder des „Reichsverbandes des nationalen Viehhandel Deutschlands“ die Rehabilitation ihres Schriftführers durch das Ehrengericht. Er war beschuldigt worden, einen Kneipengast zum Austrinken eines Weinglases aufgefordert zu haben, in das er zuvor uriniert hatte. Und: Er hatte im Kälberschuppen des Schlachthofs mit einer brünstigen dänischen Sau geschlechtlich verkehrt. Aber wer hatte das behauptet?! Der entlassene Schlachthofdirektor Elsässer, der Freimaurer ist und der sich's vom Jud hat einflüstern lassen. Man singt, trinkt und reimt „rasserein“ auf „Judenschwein“.

In der Weimarer Republik hat es nur einige wenige meist unbedeutende Spezialbranchen gegeben, die wirklich von Juden „beherrscht“ waren. Der Viehhandel gehörte dazu. Von den über 30.000 Viehandelsfirmen waren 1930 noch mehr als die Hälfte in jüdischen Händen. Alle versuchten sie nach kapitalistischer Wirtschaftsräson billig zu kaufen und teuer zu verkaufen — wie ihre nichtjüdischen Konkurrenten. Ihr Geschäftsgebaren war eher besser, u.a. gerade weil sie immer darauf gefaßt sein mußten, unter rassistischen Vorwänden diffamiert zu werden. Juden boten meistens höhere Preise, legten in der Regel das Geld bar auf den Tisch, gewährten nicht selten kapitalschwachen Bauern Kredite, ermöglichten ihnen Tauschgeschäfte, kauften auch ihr Magervieh auf, kurzum: Dem „deutsch- nationalen“ Viehhändler war nichts lieber, als von dieser Konkurrenz befreit zu werden.

Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ enthielt einen „Arierparagraphen“, wonach Beamte „nichtarischer“ Abstammung in den Ruhestand zu versetzen waren, ausgenommen „Frontkämpfer“ sowie Söhne und Väter von Gefallenen. Was das mit den jüdischen Viehhändlern am Schlachthof zu tun hatte? Der Bremer Senat hat die Grundsätze des „Arierparagraphen“ willkürlich auf die Wirtschaft ausgedehnt, obwohl ein Erlaß des Reichsinnenministers Frick eine solche Anwendung ausdrücklich untersagte.

Also ließ sich der Schlachthofdirektor die Wehrpässe, Verwundetenabzeichen und Einsernen Kreuze vorlegen und erteilten daraufhin zähneknirschend die Zulassung, - wenn er mit Hilfe der NSDAP-Kreisleitung nicht doch noch etwas fand, was er dem Betreffenden anhängen konnte: „Auch wenn Paul Wolfstein Krigsteilnehmer und verwundet ist, kann er nicht als Viehtreiber zugelassen werden, da er vor Übernahme der Regierung durch den Herrn Reichskanzler in sehr gehässiger Weise Jahre hindurch die NSDAP bekämpft hat.“ (Wolfstein legte erfolgreich Widerspruch ein).

Der Viehverkäufer Bernhard Meyer, der kein Frontkämpfer war, klagte gegen das Berufsverbot. Noch im September 1938 gewann eine jüdische Fettgroßhandlung in Bochum einen Verwaltungsgerichtsprozeß gegen den dortigen Oberbürgermeister, der ein Betretungsverbot des Schlachthofs verordnet hatte. Das gab's nur nicht in Bremen.

Unter dem Vorsitz von Dr. Otto Steengrafe befand das Verwaltungsgericht in Gestalt des Richters Dr. Wilhelm Carstens, daß der Bremer Senat auf dem richtigen Weg sei: „Der Senat will im Allgemeinen die Betätigung der Nichtarier beschränken. Wo im Einzelfall die Grenzen hierfür zu ziehen sind, läßt sich nicht festlegen. Die Zulassung ist in das freie Ermessen der Behörde gestellt, der Erlaß des Reichsinnenminister Dr. Frick ist nicht derart bindend... Die Zulassung eines nichtarischen Händlers, der nicht Frontkämpfer ist, kann in der gegenwärtigen Zeit erhebliche Beunruhigung auslösen.“

„Durch Tierschutz zur Menschlichkeit!“ Eine 1933 von den Nazis ausgegebene Devise.

"Das Schlagen und Stoßen in die Augen sowie das Werfen in die Transportwagen ist verboten"

Neue Tierschutzgesetze sind erlassen worden, auch ein Schächtverbot; die streng rituellen Schlachtvorschriften der Juden gelten fortan als Tierquälerei. Die „Bremer Nachrichten“ schreiben am 4. Oktober 1933, daß „nichts mehr für die menschlichen Qualitäten der neuen Machthaber“ spräche, „als eben ihre tierfreundliche Gesinnung.“ Pastor Julius Bode, Vorsitzender des Bremer Tierschutzvereins, paßt höllisch auf, daß auch auf dem Schlachthof alles hausordnungsgemäß-human zugeht: „Das Schlagen und Stoßen in die Augen sowie das Werfen in die Transportwagen ist verboten.“ Auch sollten keine Treiberstachel mehr verwendet werden. Im 1. Weltkrieg ist Bode einer der finstersten Kriegs-und Durchhalteprediger gewesen: „Krieg, die bist unser Freund, denn du weist uns den Weg zu Gott. Krieg, du bist gerecht, wir lieben dich, weil wir unser Volk gern groß sehen möchten, selbst wenn unser Herz darüber verbluten müßte.“

Der 30. Januar 1933 ist für ihn eine Art Wiederholung des 1. August 1914 gewesen, unter anderen Bedingungen, aber mit der gleichen Verheißung. Also ist auch die Reichswehr „unser Freund“. Und die Reichswehr braucht Tornister. Und die können nun auch aus Rind-und Roßhäuten gemacht werden. Also zart mit den Tieren umgehen, nicht beschädigen!

Im April 1936 findet in den Centralhallen eine große Polizeiausstellung statt: Hier sehen Sie den Stand des Schlachthofs mit den Zangen für die neuartige elektrische Betäubung der Schweine. Daneben die Stände der Gesundheitspolizei, rechts den Kampf gegen Kartoffelkäfer, Blutläuse und Ratten betreffend, links die Schautafeln mit „Judentypen“...

1936 werden im sogenannten „Vierjahresplan“ die rüstungswirtschaftlichen Ziele des 3. Reiches fixiert: In vier Jahren muß die deutsche Wirtschaft kriegsfähig sein. Die Lösung der Rohstoff- und Devisenprobleme steht im Mittelpunkt. Alle NSDAP- Gliederungen propagieren Losungen, die Konsumverzicht und das Ausweichen auf Ersatzstoffe verlangen, die Wiederverwendung von Altem statt Neuem. Im Schlachthof geht fortan kein Tropfen Blut mehr verloren. Blutpfannen werden aufgestellt: sie stehen für den Krieg. Im Zuge der forcierten Kriegsvorbereitungen verstärkt sich der Druck auf die Juden, verschärft sich die Verdrängungspolitik.

Etliche Viehhändler, die kapitalkräftig waren, hatten sich nach ihrem Berufsverbot umgestellt, das Vieh vom Bauern aufgekauft und selbst als Einsender fungiert. Doch im September 1936 ist auch damit Schluß. Die Bremer Marktgemeinschaft für Schlachtviehverwertung ordnet an, „daß mit sofortiger Wirkung die Annahme von Vieh von nichtarischen Einsendern untersagt ist.“ Nein, nicht auf Anweisung aus Berlin.

Der alte Hausiererberuf, der seit dem 19.Jahrhundert fast völlig aus der jüdischen Berufsstatistik verschwunden war, kommt wieder „zu Ehren“. Paul Wolfstein schlägt sich inzwischen als Straßenhändler durch, als Hausierer der Viehhändler Daniel Stoppelmann. Nach dem Erlaß des Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung vom 6.Juli 1938 ist Juden auch das Wandergewerbe verschlossen.

Der Fleischwarenfabrik Kuhlmann geht Ende Juli 1938 durch die Industrie- und Handelskammer ein Schreiben des Wirtschaftssenators zu: Ob es wahr sei, daß die Firma ihre Geschäfte in Holland immer noch von einem jüdischen Einkäufer abwickeln ließe. Kuhlmann dementiert; bis Ende 1937, ja, das müsse er zugeben.

Der ehemals liberale Wirtschaftsschriftleiter der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (Berlin), Josef Winschuh, lobt in einem Artikel, daß „der Bremer Kaufmann“ eine Tradition mit ener „gesunden rassischen Grundlage“ verkörpere: „Im Bremer Handel hat es niemals Juden gegeben. Der berühmte Bürgermeister Smidt, dessen Marmorbild im Rathaus zu den stärksten Portraiteindrücken alter Bremer Senatoren gehört, hat auf dem Wiener Kongreß erreicht, daß die napoleonische Judenemanzipation in Bremen wieder aufgehoben wurde. Die Handelskammer hat auch nach 1848 niemals ein jüdisches Mitglied gehabt. Es ging auch ohne sie.“

Zu keinem Zeitpunkt vorher hatte das faschistische Regime so viel Rückhalt im Volk wie im Herbst 1938. Die Arbeitslosigkeit war beseitigt, der Lebensstandard hatte sich gebessert, das Reich wuchs und gedieh: Ein „friedlicher Krieg“ hatte den Anschluß Östereichs und des Sudetenlandes gebracht. Die Stimmung war großartig.

Wieviele Jüdinnen und Juden in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November umgebracht wurden, ist nie genau ermittelt worden. 90 Morde sind nachgewiesen, fünf waren es allein in Bremen. Hat die Mehrheit der Bevölkerung diesen Aktionen tatsächlich „innerlich ablehnend“ gegenüber gestanden? Hat diese Novembernacht traumatische Wunden geschlagen? Bei wem? Welcher Christ dachte am ersten Advent an jene Juden, die keine Hoffnung, keinen Studienplatz, keinen Beruf, kein Geschäft, keine Nachricht von Vätern und Töchtern, kein öffentliches Kino und keinen Führerschein mehr hatten?

Der Bremer Viehhändler Fritz Harf lebte in einer „privilegierten Mischehe“. Das war Glück. Paul Wolfstein wanderte Anfang Dezember 1938 in die Niederlande aus. War das die Rettung? Ein Viehhändler ging nach Bolivien, einer nach Argentinien, einer nach Schanghai..

Es blieben: Hermann Anspacher, M.Cohen, Erich Harf, Curt de Jonge, Julius Löwenberg, Bernhard Meyer, Siegfried Polak. Bis zum 18. November 1941. An dem Tag geht von Bremen aus ein Transport nach Minsk. (Das Schlagen und Stoßen in die Augen sowie das Werfen in die Transportwagen ist nicht verboten). Minsk ist eines der kleineren Vernichtungslager, die sich von den größeren insofern unterscheiden, als in ihnen mehr Menschen durch Erschießungen als durch Gas umgebracht werden.

Nach dem Krieg gab es nichts auf dem Gelände des Schlachthofs, was an dieses Kapitel seiner Geschichte und an die Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Viehhändler erinnert hätte. Was es hier immer noch gab: das Ehrenmal für die im 1. Weltkrieg gefallenen Angehörigen des Bremer Fleischergewerbes, das Pastor Julius Bode im Juni 1932 mit den Worten eingeweiht hatte: „Deutsch unser Mut, deutsch unser Blut, deutsch unser Tun und Treiben, so waren wir, so wollen wir in aller Zukunft bleiben.“ Doris Kachulle