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„Jüdische Portraits“

■ Eine Ausstellung mit Fotos von Herlinde Koelbl im Haus der Bürgerschaft / Ein Buch für eine halbe Nacht

Foto:

Mann am

Schreibtisch

Norbert Elias, gesehen von Hermann Korte

Über meiner Schreibmaschine hängt eine Postkarte. Sie zeigt einen alten Mann in einem alten Pullover,der durch eine dicke Brille angelegentlich in seine Schreibmaschine starrt, die seine gespreizten Finger umklammern, als wollten sie in die Typen greifen: Norbert Elias beim Arbeiten. In der Ausstellung „Jüdische Porträts“ von Herlinde Koelbl, die der Parlamentspräsident Dieter Klink am Donnerstag im Haus der Bürgerschaft eröffnet hat, treffe ich auf einen anderen Elias. Das Gesicht kommt körper- und pulloverlos aus dem Dunkel, seine durchgeistigte Hand liegt, in helles Licht gerückt, auf der gefurchten Denkerstirn. Kein mühseliger Kopfarbeiter, sondern ein bedeutender Kopf.

Und so hängt er da in der Reihe weltberühmter Philosophen und Künstler, einer Auswahl aus 80 Porträts, die Herlinde Koelbl zwischen 1986 und 1989 von vielen überlebenden, zumeist deut

schen Juden gemacht hat, und die meisten sehen aus wie er: männlich, kahlbestirnt, ganz Kopf und ganz bedeutend. Nur ausnahmsweise mal ein Teddy Kollek, Bürgermeister und Verkörperung des einen Jerusalem, der mit seinen rundnägeligen Pratzen noch schnell was auf ein Telex kritzelt.

Herlinde Koelbl, die sagt, daß sie zu Beginn ihrer Gespräche mit jüdischen Emigranten Schwierigkeiten hatte, das Wort „Jude“ auch nur auszusprechen, ist die Ehrfurcht und zuviel gute Absicht in die Kamera gefahren. Auf die unwirsche Frage des Psychoanalytikers Bettelheim „Ich weiß ja gar nicht, was Sie wollen. Was ist der Zweck Ihres Buches?“ antwortet sie: „zu zeigen, wen die Deutschen eigentlich vertrieben haben, was verloren gegangen ist.“ Ich will hier nicht nochmal sagen, daß die Trauer um die entgangene geistige jüdische Potenz in Verbindung mit dem Völkermord der Nazis auch etwas sehr Unangemessenes hat. Es geht mir hier darum, daß die Inszenierung der Bedeutenden als Bedeutende, als „Persönlichkeiten“, ihre lebendige Individualität schmälert.

Die Porträtierten haben sich nach Kräften gewehrt. Die Fotografin hat nämlich ihre großen jüdischen Geister nicht nur fotografiert sondern auch befragt. Die Interviews — zusammen mit den ganzseitigen Porträts in ein schönes, teures Buch gebunden — sind eine Fundgrube und haben mir die halbe letzte Nacht verschönt. Wer sich für das Traurige, aber auch das Schöne dieser Liebesgeschichte zwischen Deutschen und Juden interessiert, findet beides. Einer Geschichte im übrigen, deren grausiges Ende man nicht deterministisch aus welchen frühen Judenfeindlichkeiten auch immer herleiten sollte, wie Dieter Klink das bei der Eröffnung „gradlinig“ aus den Grimmschen Märchen tat.

Da ist z.B. Mary Rosenberg aus Fürth, die nach ihrer Emigration in New York einen berühmten Buchladen gründete, für deutsche Literatur, „weil ich von nichts anderem etwas verstehe.“ Ob sie Haßgefühle habe. „Haßgefühle? Das geht keinen Menschen etwas an. Über diese Gefühle rede ich nicht.“ Und ob sie Engelmanns Buch Deutschland ohne Juden kennt? „Ja ja. Hat mir nicht gefallen. Das ist mir zu judenfreundlich. Der tut, als ob nur die Juden etwas leisten würden.“ So ruppig wie die wunderbare Mary Rosenberg, so ironisch schützt sich der wunderbare Elias auf Koelbls Frage, ob er sich im Judentum verwurzelt fühlt: „Ich weiß, daß die Bäume Wurzeln haben, aber mir ist entgangen, daß auch Menschen Wurzeln haben. Ich würde sagen, daß für das Schicksal der Juden die wiederkehrende Entwurzelung besonders charakteristisch ist.“

Sie schützen sich und sie geben preis. Eins der schönsten Interviews ist das mit Marcel Reich- Ranicki, dem Unerschöpflichen, der erzählt, wie er wurde, was er ist. Und er beschreibt das Verhältnis der (alten) Bundesdeutschen zu den Juden: Bei seinen Vorträgen über deutsche Literatur läuft es immer solange völlig normal, bis er an irgendeiner Stelle daran erinnert, daß z.B. Kafka Jude war. „In diesem Moment ändert sich alles. Totale Stille im Saal. Das Wort Jude im Zusammenhang mit Döblin oder Heine oder Schnitzler, und es

wird plötzlich still im Saal. Ich will nicht sagen, daß diese Stille etwas Schlechtes sei oder etwas Gutes. Aber die Stille beweist, daß es ein normales Verhalten den Juden gegenüber nicht gibt. Das ist etwas Unheimliches.“ Uta Stolle

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