Jüdische Gemeinde: Der ungestüme Kandidat
Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, kandidiert bei den Berliner Gemeindeparlamentswahlen.
Er neigt nicht unbedingt zu allzu vorsichtigem Vorgehen - aber dieses Mal ruderte er doch öffentlich ein wenig zurück: Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, betont, er kandidiere nicht eigentlich für den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Allerdings, so Kramer, kämpfe er nun um einen Platz im Parlament, der Repräsentantenversammlung dieser Gemeinde. Und dann werde man sehen, wie viele Sitze seine Liste "Atid" (Hebräisch für "Zukunft") dort erhalten könne und wer Spitzenkandidat für den Gemeindevorstand werde. Die Nachricht Kramers ist klar: Er will bei der Schlacht um den Führungsjob in der mit knapp 12.000 Mitgliedern größten jüdischen Gemeinde der Bundesrepublik dabei sein, und zwar ganz vorne und mit Freude.
Dass man bei der Beschreibung der jüdischen Gemeinde der Hauptstadt so leicht in den Militärjargon abrutscht, hat mit dem dortigen Binnenklima zu tun, das seit Jahren vergiftet ist - und in den vergangenen Monaten für viele offenbar so unerträglich wurde, dass etwa der frühere Vorsitzende Albert Meyer in den Medien darüber spekulierte, ob er nicht mit anderen eine eigene (Gegen-)Gemeinde gründen sollte. Auch Kramer erwog schon seit längerem, ob er nicht persönlich in den Dauerkonflikt innerhalb der Gemeinde eingreifen soll.
Nun hat er sich entschlossen, mit seiner Kandidatur ein "Signal zu setzen", wie er es sagt: Gegen die Austritte aus der Gemeinde, deren Zahlen in letzter Zeit bedenklich anstiegen. Und gegen die "Resignation", die viele, gerade liberale und deutschstämmige Juden der Hauptstadt, in den vergangenen Monaten angesichts des Schlamassels in ihrer Gemeinde ergriff. Wie in vielen Gemeinden Deutschlands ist der Prozentsatz der Mitglieder russisch-sowjetischer Herkunft hoch. Er liegt bei etwa 80 Prozent.
Noch völlig unklar ist, wie gut die Chancen Kramers wären, gegen den jetzigen Vorsitzenden Gideon Joffe und seinen früheren Unterstützer und "Russen"-Volkstribun Arkadi Schneiderman an die Spitze der Gemeinde zu rücken. Nachteilig könnte sich dabei auswirken, dass er zum Judentum konvertiert ist. Klar ist jedenfalls, dass Kramer seine Sprache etwas diplomatisch zügeln müsste - denn bisher holzt er ganz gern mal verbal herum, wenn es etwa, wie jüngst, um unsägliche Worte eines Kölner Kardinals geht. Dazu passt sein ungestümes Vorpreschen bei der Kandidatur, das im Präsidium des Zentralrats ungut auffiel.
Egal, Kramer weiß, was er will: Der 39-jährige Jurist und Volkswirt, der ein persönlicher Referent von Ignatz Bubis war, kennt das politische Geschäft aus dem Effeff. Die Wahlen am 25. November dürften spannend werden.
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