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Jüdische Fundamentalisten in IsraelKeine Abweichung erlaubt

In Israel macht eine Gruppe von Fundamentalisten den moderat Religiösen und Weltlichen das Leben schwer. Sie sieht ihre Existenz im Staat als bedroht an.

Bei durchschnittlich acht Kindern pro Frau haben die Ultra-Orthodoxen keine Nachwuchssorgen. Bild: ap

BETH SCHEMESCH taz | In dem kleinen Ärztehaus von Ramat Beth Schemesch sitzt ein schwarzgekleideter Mann mit Hut auf einem Kinderstuhl, den er mit dem Sitz zur Wand geschoben hat. Er starrt vor sich hin ins Leere, damit um Gottes Willen sein Blick nicht auf eine der Frauen fällt, die im Wartezimmer mit ihren Kindern spielen oder eine Zeitschrift durchblättern.

"Keusch müsst ihr euch anziehen", steht auf einem Schild am Eingang zur Praxis auf Jiddisch, denn Hebräisch ist die Sprache des Staates Israel, den sie ablehnen. Die meisten Frauen sind selbst religiös, ihr Mantel ist streng bis zum Hals zugeknöpft.

Die Pose des Mannes ist dennoch eine Demonstration des Abscheus vor der ihm aufgezwungenen Vermischung der Geschlechter auf so kleinem Raum. An dem Kampf um die Geschlechtertrennung macht sich in diesen Tagen die hitzige Debatte zwischen den Frommen und den Weltlichen in Israel fest.

Ramat Beth Schemesch ist das Viertel in der Kleinstadt Beth Schemesch, 30 Kilometer südwestlich von Jerusalem, in der fast ausschließlich Haredim wohnen, ultraorthodoxe Juden. Hier ist die achtjährige Naama Margolese auf dem Weg zur Schule von radikalen Juden beschimpft und bespuckt worden, weil sie ihren Vorstellungen nach nicht züchtig gekleidet war.

Die Bewohner sehen eher nach "Schtetl" als nach Siedlung aus

Das Neubauviertel will nicht recht zu seinen Bewohnern passen, die äußerlich besser in ein osteuropäisches "Schtetl" des 19. Jahrhunderts passen würden. Zwei elf- bis zwölfjährige Jungen im schwarzen Anzug warten neben einem Mann mit Fellmütze, Kniehosen, weißen Strümpfen und Lackschuhen auf einen Bus.

Die Linie 418 ist eine "Mehadrin"-Linie, "koschere" Busse, in denen Frauen auf die hinteren Sitzreihen verbannt werden. Fast alle halten sich daran, obschon der Oberste Gerichtshof gegen eine Trennung der Geschlechter entschied. Die Frauen haben meist geschorene Köpfe, die sie unter Perücken oder Mützen verstecken.

In dem strikt religiösen Umfeld der Haredim bewegt sich eine Gruppe von Fundamentalisten, die auf die kleinste Abweichung von den frommen Gesetzen mit Gewalt reagieren. Die Sikrikim, benannt nach jüdischen Rebellen aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, sind aggressive junge Männer, die der Neturei Karta, Antizionisten aus Mea Schearim, nahestehen.

100 Dollar Haftentlohnung pro Tag

Den Hauptgrund dafür, dass diese radikalen Juden Mädchen bespucken, sieht Rabbi Schlomo Tikochinski, Historiker und selbst Haredi, darin, dass sie sich "langweilen". Sie leben von den Spenden aus Stiftungen oder dem Geld reicher Gemeinden in den USA und müssen nicht arbeiten. "Wenn sie von zionistischen Ordnungshütern verhaftet werden, werden sie pro Tag Haft mit hunderten Dollar dafür bezahlt", sagt der Rabbi.

Weil Mea Schearim zu eng geworden ist, wurden vor rund 20 Jahren Wohnungen für junge haredische Familien in Beth Schemesch gekauft. "Sie sind dort noch radikaler geworden und setzten sich zum Ziel, in Beth Schemesch ein zweites Mea Schearim zu errichten, das noch fundamentalistischer ist", erklärt Tikochinski, der sich selbst als "moderaten Haredi" bezeichnet. Vor zwei Wochen schloss er sich den Demonstrationen gegen die militanten Ultraorthodoxen an und gilt seither unter seinesgleichen als "Kollaborateur mit den Weltlichen".

Die Rabbiner halten sich aus der Diskussion heraus

Dabei sind es Stimmen wie seine, die die aufgeregten Gemüter beruhigen könnten. Die meisten Rabbiner ziehen es vor, die Entwicklung nicht zu kommentieren. "Niemand will riskieren, als Liberaler oder Neoorthodoxer zu gelten", sagt Tikochinski, der die Radikalisierung und die Frontenbildung zwischen den Haredim und dem weltlichen Israel als Katastrophe empfindet. "Wir werden um Dutzende Jahre zurückgeworfen."

Die Sorge vor einer Diffamierung und dem Vorwurf, nicht fromm genug zu sein, sei auch Grund dafür, dass die Haredim bei der Geschlechtertrennung mitmachen, obwohl, so ist Tikochinski überzeugt, "die Mehrheit dagegen ist". Anstatt sich für Mäßigung einzusetzen, finde in den haredischen Medien eine Hetzkampagne statt und eine "Panikmache, die dann in den Missbrauch von Judenstern und KZ-Uniform resultierte".

Für die Haredim stelle sich die Lage so dar, dass ihre Existenz in Israel bedroht sei. Viele würden deshalb so eindeutig Position für ihre Gruppe beziehen, auch wenn sie inhaltlich der strikten Interpretation der frommen Gesetze nicht zustimmten.

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8 Kommentare

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  • K_
    Karl _Ranaseier

    Die Moralvorschriften, die religiösen Schranken, die gesellschaftlichen Tabus und die emotionalen Konventionen, die von uns um den Sex herum errichtet wurden (übrigens auch um die Liebe - um alles im Leben), haben uns faktisch jeder Möglichkeit beraubt, unser Sein zu feiern.

  • K
    käthe

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    Ich kriege Anfälle, wenn ich mir diesen Sittsamkeits-und Keuschheitswahn reinziehen soll, betrieben von hysterischen und verklemmten Typen, die den ganzen Tag nichts anderes um die Ohren haben, als Frauen in Bussen vollzunölen, dass sie eben in diesem Bus nicht mitfahren dürften. Diese religiös motivierte Apartheid ist das hinterallerletzte und ich hoffe, es wird ihnen vielleciht doch mal irgendwann klar, dass sich die Welt nicht nur um ihren Nabel dreht.

    Sittsamkeit, ey, ich kann's nicht mehr hören!

  • F
    Fast

    Am Rande: Viele Haredim nutzen jiddisch im Sprachgebrauch, denn Hebraeisch ist ihrer Meinung nach, die Sprache des Gebetes/Gottes und somit nicht fuer den Alltag bestimmt. Die Ablehnung Israels wird nicht durch die Hebraeische Sprache begruendet, viel mehr dadurch, dass das heilige Land eretz Israel nur vom Messias selbst (wieder)gegruendet werden kann. Ben Gurion hats soweit in ihren Augen nicht gebracht...

  • BH
    Banjo Hansen

    Geschorene Köpfe bei Frauen? Interessante Parallele...

     

    Als Nichtexeget des Tanach mischt man sich da ungern ein, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass der Herr die Frauen mit Haaren gemacht hat... Sicherlich kleinlich, diese Anmerkung. Aber dann eine Perücke drauf!

  • H
    hopfen

    Ich finde es schade, dass in den meisten Medien die Konflikte innerhalb Israels auf den Palästinenserkonflikt beschränkt werden und finde es erfrischend in der TAZ auch Artikel über die religiösen Differenzen innerhalb von Israel bzw. innerhalb des Judentums zu lesen. Oftmals ist es ja so, dass die gemäßigten Israelis im Militärdienst zwischen den Palästinensern und den Orthodoxen stehen, welche wiederum ironischer weise vom Militärdienst befreit sind.

  • M
    Martin

    Warum ausgerechnet die Gläubigen immer wieder zu Gewalt neigen, bleibt mir ein Rätzel.

    Die Gott wirklich so schlecht und unfähig, dass er solche Vögel braucht, um seinen Willen durch Blut zu realisieren ? War da nicht irgendwas mit allmächtig ?

  • D
    deviant

    Die Frage, die "die westliche Welt" sich nun stellen muss, und die liberale Israelis und Juden bereits eine ganze Weile stellen, ist:

    Wenn wir uns keinen nuklear hochgerüsteten muslimischen Gottesstaat leisten können - können wir uns denn einen nuklear hochgerüsteten jüdischen Gottestaat leisten?

     

    Die einseitige Unterstützung der israelischen Falken hat eine gesellschaftliche Radikalisierung bewirkt, die die liberalen Juden seit Jahrzehnten auszubaden haben, auch wenn sich der Prozess derzeit beschleunigt.

    Israel befindet sich in einer politischen Sackgasse, die fast unausweichlich in der Auslöschung des gesamten Staates münden wird...und hier scheint sich der Kreis zu schließen: die Erben der alten Nazis, die sich angeblich immer so sehr für Israel eingesetzt haben und keine Kritik zuließen, erreichen genau dadurch die Ziele ihrer Väter.

     

    Das klingt pervers, könnte aber genau so kommen...

  • HK
    Hanes Klopp

    Solange es diese Hardcore-Fundis im Nahen Osten gibt wird es keinen Frieden geben

    Netanyahoo bekommt da eh nix auf die Reihe läßt eher noch mehr Siedlungen bauen und aufrüsten

    Die Israelis sollten endlich Flagge zeigen und diesem Irrsinn ein Ende machen