Jüdische Flüchtlinge in Köln: Nicht alles ist Gold in der neuen Heimat
Oft haben sie keine Arbeit und Schwierigkeiten mit der Sprache – doch den jüdischen Flüchtlingen aus der Exsowjetunion bietet eine lebendige Gemeinde Rat und Rückhalt.
KÖLN taz | Fürsorglich werden dem Gast Hausschuhe herausgesucht, dann verschwindet Ruma in Richtung Küchenecke, holt Kekse, setzt Tee auf. Alexej wirft derweil ein buntes Tuch über den kleinen Tisch. "Das ist unsere Muschel, in die wir uns für unseren Lebensabend zurückgezogen haben", sagt Alexej mit einladender Geste und einem Rundblick durch das Wohnzimmer. Ruma und Alexej, beide 70 Jahre alt, sind 1995 aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, als sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge. 15 Jahre später antworten sie auf die Frage, ob sie sich in Deutschland zu Hause fühlen, mit einem bescheidenen: "Wir haben hier alles, was wir brauchen."
Es ist nicht viel, was Ruma und Alexej brauchen. Genügsam leben sie in ihrer kleinen Sozialwohnung im zwölften Stock eines anonymen Wohnblocks in Köln-Chorweiler, der größten Plattenbausiedlung Nordrhein-Westfalens. Tief unten tummeln sich im Schatten der Hochhäuser Kindergartenkinder hinter einem hohen Stahlzaun. Es gibt eine große Parkanlage in der Nähe, an der ist das Paar früher immer spazieren gegangen, als Alexejs Knie noch mitspielten und Ruma noch nicht so mit dem Tinnitus zu kämpfen hatte. Und es gibt einen Supermarkt gleich um die Ecke.
Am wichtigsten aber ist, dass sie in Chorweiler eine Menge Bekannte haben. Hier lebt ein Großteil gerade der älteren immigrierten Juden. So viele, dass die jüdische Gemeinde ein Begegnungszentrum eingerichtet hat, wo man sich bei Konzerten, Sprachkursen und vielen anderen Veranstaltungen trifft. "Da fühlt es sich ein bisschen wie zu Hause an", sagt Alexej grinsend: "Alle sprechen Russisch." Kein Wunder, denn mehr als zwei Drittel der Gemeinde besteht aus Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, und die sind gut vernetzt. Von den Alteingesessenen trennt sie vor allem die Sprache. "Ich habe alles versucht, um Deutsch zu lernen, ich wollte unbedingt wieder als Krankenschwester arbeiten", klagt Ruma, "aber mein Kopf schwirrte bei all den neuen Wörtern."
321 n. Chr.: Erste Erwähnung der Kölner jüdischen Gemeinde.
1424: Vertreibung der Juden aus der Stadt.
1801: Neugründung der Kultusgemeinde.
bis 1933: Anwachsen der Gemeinde auf mehr als 18.000 Mitglieder. Viele verließen nach der Machtübernahme der Nazis Deutschland, etwa 8.000 Kölner Juden wurden anschließend in Konzentrationslagern umgebracht.
29. April 1945: 50 Schoah-Überlebende gründeten eine neue Synagogen-Gemeinde.
1989: Die Jüdische Gemeinde Köln zählt 1.358 Mitglieder, viele von ihnen sind hochbetagt.
Heute: Die Immigration aus dem Osten bringt neues Leben in die
Gemeinde: Heute leben rund 4.500 Juden in Köln.
Schwierige Umstellung
Weder Ruma noch Alexej gelang der Wiedereinstieg in ihren Beruf. Und damit sind sie keinesfalls die Ausnahme innerhalb der jüdischen Gemeinde Kölns. Nicht nur die ältere, auch die jüngere Generation tut sich mit der Lebensumstellung schwer. Laut einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind jüdische Immigranten oft hochgebildet und qualifiziert - leben aber dennoch häufig von Sozialhilfe. Als Erklärung gibt das Bundesamt an, dass die ausländischen Abschlüsse hierzulande nicht anerkannt und zu selten berufliche Weiterbildungen wahrgenommen werden - vor allem aber: mangelnde Deutschkenntnisse.
Dem unweigerlich folgenden Frust versucht die jüdische Gemeinde mit Deutschkursen entgegenzuwirken. Zusätzliche Freizeitprogramme sollen den Menschen Stabilität und sozialen Halt geben. Ein Beratungstelefon rund um die Uhr, Therapiesitzungen mit Psychologen oder eine wöchentliche Beratungsstunde mit dem örtlichen Polizeikommissar gehören zu den Angeboten.
Stella Shcherbatova ist ausgebildete Psychologin und Koordinatorin der Integrationsagentur in einem weiteren Begegnungszentrum der Synagogen-Gemeinde im Stadtteil Porz. Auch hier leben viele russischsprachige Juden in den Sozialwohnungen, auch hier sind viele davon langzeitarbeitslos. Shcherbatova kritzelt eine Skala auf das Papier vor sich und malt eine Welle hinein: "Nach der ersten Begeisterung folgen unweigerlich irgendwann die Probleme. Die Sprache ist schwierig, man findet keinen Job. Es ist eben doch nicht alles Gold in der neuen Heimat." Schwungvoll zieht sie den Stift wieder nach oben: Wenn alles gut gehe, komme man aus dem Tief wieder heraus, büffle Deutsch und finde irgendwann einen Job. Aber, schüttelt sie bedauernd den Kopf und verlängert die Bodenlinie: "Einige schaffen überhaupt nicht mehr den Aufstieg."
Ilja jedenfalls ist noch in dem Tief, und seine Suche nach Auswegen daraus wirkt mutlos. In Aserbaidschan hat der 45-Jährige als Sportlehrer gearbeitet, aber seit er 1999 nach Deutschland kam, hat er keinen adäquaten Job gefunden. "Für die wirklich interessanten Berufe reicht mein Deutsch nicht aus", sagt Ilja. Acht seiner Freunde aus Aserbaidschan leben in Porz, gleich um die Ecke. Im Volleyballclub, dessen Training er von Alexej übernommen hat, wird eh nur Russisch gesprochen. Zu Deutschen hat er kaum Kontakt, außer bei den Ämtern. Von denen ist er enttäuscht. Zwischendurch hat sich Ilja eine Weile als Verkäufer von Handys und Telefonverträgen versucht, doch das ging schief. Danach träumte er davon, sich mit einem Export-Import-Geschäft aus und nach Aserbaidschan selbstständig zu machen. Aber auch hier folgte ein Rückschlag: Bei einem Existenzgründerseminar des Arbeitsamts hat er die Prüfung nicht bestanden, einen Kredit bekommt er daher nicht. Einzige Möglichkeit: es auf eigene Faust versuchen. Und sollte er Gewinne machen, diese mit dem Arbeitsamt verrechnen. Aber wie soll er die erste Lastwagenladung mit Ware bezahlen?
Da kann auch die Synagogen-Gemeinde Köln wenig helfen. "Besonders die jüngeren arbeitslosen Leute sind ein großes Thema in der Gemeinde. Aber wir sind eine religiöse Gemeinschaft", sagt Shcherbatova, "wir können nicht die Aufgaben eines Arbeitsamts übernehmen." Immerhin kann sie allein in Porz zwei 1-Euro-Jobs anbieten. Wer hier arbeitet, bekommt automatisch auch Computerschulungen, Bewerbungstraining und Kommunikationstraining - und teilweise würden die 1-Euro-Jobber von hier den Sprung ins Berufsleben schaffen, ist die Koordinatorin überzeugt.
Iljas Freund Kostja glaubt nicht so recht daran. Arbeiten für einen Euro - das kann er sich nicht leisten, zumal er jetzt eine feste Freundin hat und für die Zukunft auch Kinder geplant sind. Bisher hat sich Kostja von seinem Job in einem russischen Busunternehmen ernähren können. Nur die Wohnung hat ihm das Sozialamt gezahlt, den restlichen, mageren Lebensunterhalt hat er selbst verdient. In den nächsten Tagen will er mit dem Arbeitsamt reden, wie er mehr Geld verdienen kann. "Solange ich allein war, war ich zufrieden. Aber meine Kinder sollen es besser haben!", sagt Kostja. Perfekt Deutsch werden sie sprechen, ist er überzeugt, und auf die jüdische Schule sollen sie gehen.
Schach nach der Arbeit
"Kinder sorgen automatisch dafür, dass man in der neuen Heimat ankommt", sagt auch Anna Orentlicher, selbst Mutter von zwei Kindern. Es ist nicht leicht, einen Termin zu finden, zu dem die ganze Familie zu Hause ist, irgendeiner ist fast immer unterwegs. Vater Michail arbeitet als Logistikexperte bei Ford, seine Frau Anna ist Deutsch- und Russischlehrerin. Nach der Arbeit geht er manchmal zum Schachclub, oder sie trifft sich mit anderen Frauen zum koscheren Kochen. Und dann gibt es ja noch all die Veranstaltungen und Feste in der Synagoge. Auch Sophie, 11 Jahre, und Levi, 14 Jahre alt, haben neben der Schule eine Menge Hobbys, spielen Trompete und Querflöte, lernen Hebräisch. Und sie treffen Freunde - deutsche, russische, jüdische, für die Kinder spielt das keine Rolle.
Auch wenn zu Hause Russisch gesprochen wird - die erste Sprache für Sophie und Levi ist Deutsch. Köln ist ihre Heimat. Gleichzeitig wachsen sie auch ganz natürlich in die jüdische Gemeinde hinein - im Gegensatz zur Elterngeneration, die selbst erst einmal die jüdischen Traditionen lernen muss. In den meisten Ländern der Sowjetunion waren die Synagogen geschlossen, nur die Mutigsten trafen sich heimlich privat; der Zugang zu Universitäten und Ausbildungsstätten wurde durch Quoten eingeschränkt. So hatten viele osteuropäische Juden den Bezug zu ihrer Religion völlig verloren - Juden waren sie nur noch laut Stempel in ihrem Pass. Auch Michail war wenig an der Gemeinde interessiert, solange die Kinder noch nicht da waren. "Dann aber wollten wir unseren Kindern das ermöglichen, was wir selber vermisst haben: unser Judentum leben zu dürfen. Jeder Mensch sollte diese Basis als Kind bekommen. Als Erwachsene können sie dann selbst entscheiden, wie sie damit umgehen wollen", sagt der 48-Jährige. Und so sind Sophie und Levi, ohne dass sie es merken, ein Musterbeispiel für gelungene Integration - innerhalb und außerhalb der jüdischen Gemeinde.
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