Jubiläum: Der Groove von Kreuzberg
Das Yorckschlösschen ist seit 30 Jahren Heimat der Jazz- und Bluesszene
Dass Berlins legendärste Jazzkneipe auf einer Kreuzung steht, kann kein Zufall sein. Schließlich soll der Teufel auf einer Straßenkreuzung den Blues erfunden haben - im Tausch für eine arme Musikerseele. Das Yorckschlösschen, das wie ein Keil zwischen der großen Yorck- und der kleinen Hornstraße steckt, ist seit dreißig Jahren "Home of Jazz and Blues". In dem viergeschossigen Prachtbau am westlichsten Zipfel Kreuzbergs treffen sich alle, die sich dem Groove verschrieben haben. Bei musikalischem Frühschoppen und abendlichen Konzerten mischen sich Profi- und Hobbymusiker, Nachbarn und Touristen, Tanzwütige und Biertrinker. Und so mancher Tresenhocker hat hier nachts schon den Teufel gesehen - auch wenn es vielleicht doch nur Olaf Dähmlow war.
Der 58-jährige Wirt mit dem grauen Bärtchen hat sich fürs Foto einen Hut in die Stirn geschoben und den Jackenkragen hoch gestellt. "Das sieht einfach cooler aus", sagt er. Für die lässige Pose hinter dem Tresen muss er nicht lange üben, sie sitzt auch mit Holunderlimonade in der Hand. Vergilbte Wände, rustikales Mobiliar, aber die Zapfhähne blitzen. "Verglichen mit früheren Zeiten sind wir heute eine Milchbar", sagt Dähmlow und erzählt von der bewegten Vergangenheit des Yorckschlösschens.
Die Kneipe: 1885 als Wiener Kaffeehaus eröffnet, war die Kreuzberger Kneipe erst Offizierslokal, dann SA-Treffpunkt und nach dem Krieg Kiez-Eckkneipe. Seit 1979 gibt es Jazz und Blues, warmes Essen und einen Biergarten.
Das Jubiläum: Zum 30. Geburtstag feiert sich das Yorckschlösschen mit einer abendlichen Konzertreihe. Bis zum 28. November kann man für sechs Euro Jazz, Jive, Swing, Hardbob und Blues hören.
Das Programm: Gibts unter www.yorckschloesschen.de
Die 1885 als Wiener Kaffeehaus eröffnete Gaststätte diente erst preußischen Offizieren der benachbarten Kaserne, später Hitlers SA-Männern als Ausgehlokal. Im Krieg büßte das Gebäude seinen Stuck ein, fortan traf sich dort die proletarische Nachbarschaft zum Saufen. Die Musik zog erst mit Olaf Dähmlow ins Yorckschlösschen ein.
1987 begann der gelernte Einzelhandelskaufmann nebenher als Putzkraft zu arbeiten. Eigentlich wollte er Bühnenbildner werden - doch beim Schrubben des schäbigen Linoleumfußbodens ließ er sich von der Kreuzberger Bohème beeinflussen. Die Maler, Musiker und schrägen Vögel im Yorckschlösschen inspirierten ihn zu einer Vision, an der er bis heute festhält: "Ich sah eine Kaschemme für Dick und Doof, Arm und Reich, verbunden durch eine besondere Atmosphäre".
Wer einmal eine der mittwöchlichen Bluessessions erlebt hat weiß, dass Dähmlows Traum längst wahr geworden ist. Unter schummrigen Kronleuchtern drängen sich Musiker und Publikum, Jung und Alt, Nachbar und Studentin. Statt chromglänzender Barhocker und Servietten zum Drink gibt es Bier vom Fass und Tuchfühlung mit den Musikern. Nicht nur beim Publikum sind die Sessions beliebt - Musiker melden sich jetzt bereits für nächsten Sommer an.
Um aus der desolaten Eckkneipe einen magischen Ort zu machen, musste der Mann, der "in einem früheren Leben" mal bei Hertie Deutschlands jüngster Abteilungsleiter, dann Frankfurter WG-Genosse und schließlich Kreuzberger war, Kneipenwirt werden. Seit 1980 ist er Geschäftsführer des Yorckschlösschens und inzwischen sogar Eigentümer des Hauses. "War hart, hat sich aber gelohnt", resümiert Dähmlow knapp und lässt den Blick über die vielen Musikerfotos an der Wand gleiten. Brassbands aus dem Mississippidelta, Bebop und Hotjazz aus Kreuzberg, Blues aus Spanien. Und auch mal Soul. Das Yorckschlösschen feiert die Vielfalt schwarzer Musik; für publikumsfreundliche vier bis sechs Euro Eintritt.
Alles fing mit Konzerten der Band Flat Foot an, die Jürgen Grage, Betreiber der benachbarten Livekneipe Leierkasten organisierte. Als der Leierkasten schloss, standen beim frischgebackenen Wirt Musiker wie der Zitty-Mitgründer Wolfgang Rügner auf der Matte. Die sonntäglichen Auftritte der White Eagle Jazz Band waren der Beginn eines regelmäßigen Musikprogramms - und einer familienähnlichen Struktur, die sich rings um das Yorckschlösschen und Olaf Dähmlow entwickelte.
Wolfgang Rügner übernahm die Gestaltung des monatlichen Programmhefts und die Werbung und zog mit seiner Familie im dritten Stock ein. Sein Sohn Tobias wuchs "uff dem nassen Lappen in der Kneipe auf", wie er sagt, nutzte später selbst den Probenraum im Keller und spielt heute mit den Jazzerfreunden seines Vaters bei der Brass-Band 61 Paraders. Zum 30-jährigen Geburtstag hat Tobias Rügner einen Film über das Yorckschlösschen gedreht. "Eine Hommage an die Helden meiner Kindheit", sagt er und schwärmt von den Sommerabenden, an denen ihn das Gemurmel der Gäste im Biergarten in den Schlaf gewiegt hat. Von gemeinsamen Ausflügen nach New Orleans und Paris. Und der jährlichen Kreuzberger Kunstversteigerung.
Zur ersten inoffiziellen Filmvorführung versammeln sich Mutter, Vater und Sohn Rügner um Olaf Dähmlow. Es ist Nachmittag, gedämpft dringt das Licht durch die farbigen Glasscheiben über der Eingangstür. An der Wand, über dem Schlagzeug und dem Klavier, erscheinen Musiker wie Rudy Stephenson, der Exgitarrist von Nina Simone. Der "weiße Hai" von Kreuzberg. Oder der inzwischen verstorbene Bandleader der White Eagle Jazz Band, Peter Müller. Die Familie kommentiert aus dem Halbdunkel, ergänzt das Filmgeschehen um eigene Anekdoten. Von Castros Lieblingsband, die während der Internationalen Tourismusbörse plötzlich vor der Tür stand und spielen wollte. Vom Fall der Mauer, der das Yorckschlösschen ebenso an den Rand des Ruins brachte wie eine Lärmschutzbeschwerde aus der Nachbarschaft. Von einem System sich selbst verlängernder Lokalverbote, das sich Olaf Dähmlow für besonders renitente Störenfriede ausdachte. Und vom Rauchverbot, das nahezu alle Biertrinker aus der Nachbarschaft vergraulte.
Der Kiez vermünchnert
"Drumherum hat sich alles verändert, nur das Yorckschlösschen ist gleich geblieben", resümiert Dähmlow. Er selbst sei jedoch ein anderer geworden, extrovertierter, resoluter. Und angstfreier. Der Kampf gegen steigende Gema-Gebühren, immer neue Behördenauflagen und das, was er die "Vermünchnerisierung" des Kiezes nennt, hat Spuren hinterlassen. So große, dass Dähmlow irgendwann hinzuschmeißen beschloss. 2005 war das, als er den Laden verpachtete und wegzog. Und aus sicherer Entfernung beobachtete, wie das Yorckschlösschen ums Überleben kämpfte.
"Wie lange eigentlich?", überlegt Dähmlow. "Fast ein Jahr warst du weg", erinnert ihn Rügner senior. Es klingt auch heute noch ein bisschen anklagend. Dähmlow zuckt die Schultern. "Was solls, ich habe mich ja erholt. Und jetzt geht es weiter." Die durch das Rauchverbot verlorene Kundschaft will er durch ein noch stärker profiliertes Konzertprogramm wieder holen. Kein leichtes Unterfangen, wenn man nur winzige Gagen, 90 Sitz- und 70 Stehplätze bieten kann. Aber das Yorckschlösschen ist bei Musikern weit über Berlin hinaus bekannt. Dähmlow, der die Jazzinitiative und den Jazz Award Berlin mitgegründet hat und seit Jahren Jazzfeste in Westberlin organisiert, ist gut vernetzt in der Szene. Und auch wenn viele, die dort auftreten, mit dem Yorckschlösschen in die Jahre gekommen sind: Nachwuchssorgen hat der Wirt keine: "Die Szene ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert", sagt er. "Berlin ist europäische Jazzhauptstadt." Und die Kneipe an der Kreuzung Yorck- und Hornstraße einer ihrer dicksten Knotenpunkte.
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