Journalist über Wahl in Neuseeland: „Alles dreht sich um Dotcom“
Der Enthüllungsjournalist Nicky Hager hofft auf einen Politikwechsel in Neuseeland. Die Rolle Kim Dotcoms sieht er ambivalent.
taz: Herr Hager, ich danke Ihnen für die Gewährung dieses Skype-Interviews. Wenn die Aufnahmetechnik nicht funktioniert, wen rufe ich denn an, um eine Kopie unseres Gesprächs zu bekommen?
Nicky Hager: Ich fürchte, das würden wir nicht wieder kriegen. Es wäre verloren im Äther.
Es hört also niemand mit?
Wenn es zur Massenüberwachung kommt, gibt es einen Unterschied zwischen Kapazitäten und Operationalität. Es kann natürlich einen automatischen Speicher für mehrere Tage geben. Dabei ist dann eine automatische Löschung, wenn dieser Speicher voll ist. Aber es ist eine gänzlich andere Frage, ob jetzt jemand zuschaut. Das ist sehr viel unwahrscheinlicher.
Sie haben ja schon in den Neunzigern zum Überwachungsprogramm Echelon veröffentlicht. Gab es dafür eine Wahrnehmung? Ist die Massenüberwachung, in welcher Form auch immer, denn bisher ein Thema für die neuseeländische Politik gewesen?
Ich kann wohl sagen, dass meine Recherchen sehr wenig Einfluss auf die hiesige Politik hatten, viel weniger als in anderen Ländern. Das hat natürlich auch mit diese langweiligen Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zu tun, die immer wieder einfach nicht reagiert. Sie sagen einfach nichts zur Sache.
Und heute?
In den vergangen zwei Jahren haben wir mit Kim Dotcom unseren ersten richtigen Überwachungsskandal. Für unsere aktuelle, konservative Regierung war das die schädlichste Periode ihrer Amtszeit. Alles dreht sich um Dotcom. Es gab in großem Umfang ungesetzliche Überwachung in seinem Fall. Dazu kam die Entdeckung der ungesetzlichen Überwachung der neuseeländischen Bevölkerung, was den Premierminister John Key ziemlich niedergedrückt hat, da er in all diesen Jahren mehr als jeder andere die Verantwortung für die Geheimdienste trug. Kim Dotcom und die Partei, deren Finanzier er ist, haben versucht, daraus ein Thema während des Wahlkampfes zu machen.
Der Journalist enthüllte 1996 mit dem Buch „Secret Power“ die Existenz des Echelon-Spionagenetzwerkes für eine breitere Öffentlichkeit.
Sein aktuelles Buch „Dirty Politics“ befasst sich mit den Verbindungen zwischen der regierenden National Party und rechten Bloggern. Aufgrund der darin veröffentlichten Dokumente musste Polizeiministerin Judith Collins mitten im Wahlkampf zum Repräsentantenhaus ihr Amt aufgeben.
Mehr Informationen: www.nickyhager.info
Hat das funktioniert?
Es ist noch zu früh, um mit Sicherheit zu sagen, welchen Effekt das hat, aber dass es einen gibt, ist wahrscheinlich. Vor einigen Tagen gab es dieses Event mit Glenn Greenwald und Edward Snowden. Das war elektrisierend. Es war, als wenn das ganze Land anhalten würde um zuzuschauen. Das war nicht randständig sondern zentral.
Haben Sie auf der Veranstaltung Dinge gehört, die wirklich neu für Sie waren?
Ja, zwei wichtige Dinge. Eines von Glenn Greenwald, der über den Plan, Unterseekabel anzuzapfen informierte. Das ist sehr wichtig in Neuseeland, denn die Kabel die hier abgehört werden können, sind nicht solche, die von einem Teil der Welt in den anderen laufen. Wir sind das Ende der Welt. Wenn wir hier über angezapfte Kabel reden, dann über den Zugang der Neuseeländer zum Internet. Das ist eine große Sache, die auch nicht so schnell aus der Welt sein wird. Das zweite kam von Snowden und war gänzlich neu für mich. Er hat über seine Arbeit in Hawaii geredet, wo er am anderen Ende unserer Kabel bei der NSA saß. Und er hat davon gesprochen wie Unmengen neuseeländischer Daten und Kommunikation dort durch das System gelaufen sind. Das ist insofern eine große Nachricht in Neuseeland, weil die Five-Eyes-Nationen eigentlich nicht gegeneinander spionieren sollen.
Wie hat der Premier reagiert? Hat er überhaupt Stellung bezogen?
Er hat versucht, seine Glaubwürdigkeit gegen die von Greenwald und Snowden zu stellen, indem er sagte, das wäre nicht wahr, dass es sich um böswillige Ausländer handle, die hier Einfluss auf die neuseeländische Politik nähmen. Ich denke, man kann sagen, dass er hier richtig verloren hat. Denn wo auch immer die Menschen in dieser Sache stehen, die Glaubwürdigkeit von Glenn Greenwald und Edward Snowden ist sehr hoch in Neuseeland.
Auch die von Kim Dotcom?
Die öffentliche Meinung ist über ihn sehr gespalten. Für einige ist er ein Held für andere eine eher zwielichtige Person. Aber durch ihn wurden Fragen staatlicher Überwachung in den Vordergrund gerückt, genauso wie unsere Außenpolitik und das in einer Weise wie niemand anderes vermochte.
Ihr eigener Beitrag zum Wahlkampf ist ja auch nicht zu unterschätzen. Ihr letztes Buch mit Enthüllungen über die Verbindungen zwischen rechten Bloggern und der Regierung hat kurz vor der Wahl noch eine Ministerin das Amt gekostet. Mit diesem Druck von allen Seiten: Glauben Sie, dass John Key auch der nächste Premierminister sein wird?
Das fragen Sie einen Tag, bevor wir das herausfinden werden?! Ich weiß es wirklich nicht. Was ich aber sicher sagen kann, ist, dass noch vor einigen Monaten klar war, dass er gewinnen würde. Key wird der populärste konservative Politiker der westlichen Welt genannt. Wenn er morgen gewinnt, steht trotzdem fest, dass sich seine Reputation auf dem Weg abwärts befindet.
Aber es ist immer noch möglich, dass er eine absolute Mehrheit erreicht.
Ja, aber seine Zahlen haben schon deutlich nachgelassen. Die waren mal viel besser. Das war mir immer ein Rätsel, da seine Regierung eine Menge unpopulärer Dinge gemacht hat. Er aber konnte bis jetzt so ein Bild aufrechterhalten, dass er dieser freundliche, entspannte Typ sei, mit dem man auch mal ein Bier trinken geht. Von Anfang an war ich mir ziemlich sicher, dass das nicht wahr sein konnte. Der Mann war ein skrupelloser Devisenspekulant, der mit dieser Arbeit sehr reich geworden ist. Jetzt ist er eben ein skrupelloser Politiker mit einem frustrierend positiven Image. In der US-Politik nennt man das two track system. Das bedeutet, dass man den Chef positiv aussehen lässt und sagt, dass er nicht in schmutzige Politik involviert ist und nur Sacharbeit macht. Und dann separiert man genau diese schmutzigen Taktiken von ihnen. Tatsächlich ist das aber verbunden.
Da kommen die Blogger ins Spiel?
Genau. Ich habe Dokumente von den Republikanern in den USA, wo sie über die Möglichkeit reden, Blogs für negativen Wahlkampf zu benutzen. Sie erklären, dass der Vorteil dieser Blogs im Vergleich zu klassischen Medien der ist, dass letztere die präsentierten Fakten nachprüfen wollen. Aber über scheinbar unabhängige, in Wirklichkeit aber mit der Partei verbundene Blogs, die nicht akkurat und fair sein müssen, lassen sich die Gegner leicht attackieren und verleumden. Das neuseeländische Blog WhaleOil von Cameron Slater [einem Sohn des früheren Vorsitzenden der Regierungspartei] wurde zum Beispiel für solche strategischen Attacken benutzt. Dazu wurden Informationen über das Büro des Premierministers an das Blog durchgestochen. Der eigentliche Angriff auf die politischen Gegner lief dann von dort aus.
In Deutschland sind Blogs noch viel weniger eine politische Macht als zum Beispiel in den USA oder Neuseeland, auch scheinen diese Methoden nicht ganz so zu funktionieren...
...Das können sie jetzt vielleicht sagen. Aber alle Parteien schauen sich um in der Welt. Die Grünen in der Welt beobachten, wer von ihnen besonders erfolgreich ist, welche Taktiken sie benutzen, wie sie ihre Wahlkämpfe gewinnen. Genauso die Sozialdemokraten und natürlich auch die Konservativen. Ich sage also, wenn bestimmte Methoden erfolgreich sind, inklusive schmutziger Taktik und Tricks, wird das sehr genau wahrgenommen von vergleichbaren Parteien in der Welt. Das ist ein bisschen wie ein Frühwarnsystem. Sie können sehen, was woanders passiert und vergleichbare Methoden schneller identifizieren wenn sie in Ihrem Land ankommen.
Kim Dotcom, den zwielichtigen Helden dieser Geschichte, haben wir ja nun erstmal an Neuseeland abgegeben. Wird er dort ein Gegengewicht gegen diese Methoden sein können?
Nicht wirklich, um ehrlich zu sein. Er spielt eine Rolle in der Politik. Er ist sehr kreativ und sehr energiegeladen. In der großen Politik macht er gleichzeitig einiges kaputt, aber er hilft auch. Das ist alles sehr überraschend und vielleicht schauen wir mal mit freundlichen Gefühlen auf ihn zurück. Vielleicht auch nicht. Er hat sich ja gewandelt. Ganz offensichtlich war es eine dramatische Erfahrung für ihn, das Ziel solcher Überwachung zu sein. Im Moment macht er ein paar wirklich interessante Sachen. Was daraus auf lange Sicht aber wird – das weiß ich nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter