Journalist Galeano zu Uruguay: "Schon die Babys schreien: Goooool!"
Der Schriftsteller Eduardo Galeano über die Stärke des kleinen Uruguay und die beiden Boatengs als Metapher für diese WM.
taz: Herr Galeano, wer wird Fußballweltmeister?
Eduardo Galeano: Zum Propheten tauge ich nicht. Und außerdem will ich die Zukunft gar nicht wissen. Wenn eine Wahrsagerin mir aus der Hand lesen will, flehe ich sie an: "Señora, bitte seien Sie nicht grausam." Ich will nicht wissen, nicht einmal spüren, was geschehen wird, denn das Beste im Leben wartet immer hinter der nächsten Ecke. Und ich füge hinzu: Zum Glück gehen die Vorhersagen daneben. Die Zeit macht sich über jene lustig, die sie erraten möchten.
Was halten Sie von der deutschen Mannschaft?
69, ist der berühmteste Journalist und Autor Uruguays ("Die offenen Adern Lateinamerikas") und hat immer wieder auch über Fußball geschrieben ("Der Ball ist rund").
Erstaunlich! Sie hat die Kraft und die Schnelligkeit der alten Zeiten, dazu eine Eleganz und eine Freude, vielleicht der Beitrag so vieler jungen Spieler, die in ihre Reihen aufgenommen wurden, der Einwanderer oder Einwandererkinder. Im Fußball wie im Leben bedeutet die ethnische Vermischung Verbesserung.
Und warum haben es die Argentinier letztlich nicht geschafft?
Sie haben in mehreren Spielen geglänzt und jetzt sind sie weg, gedemütigt durch ein Schützenfest: Das macht mich traurig, auch wenn der deutsche Sieg mehr als gerecht war. Wo hat Argentinien versagt? Offensichtlich hat es das Mittelfeld vernachlässigt, es fehlte an den Verbindungen zwischen vorne und hinten, und Messi wurde nach allen Regeln der Kunst von der deutschen Abwehr blockiert.
Wie sieht die WM-Bilanz aus südamerikanischer Sicht aus?
Wir Lateinamerikaner waren glücklich. Zum ersten Mal kamen vier unserer Mannschaften ins Viertelfinale. Und dann, mit einem Schlag, war nur noch Uruguay übrig. Auch Afrika ist nicht mehr dabei. Die Boateng-Brüder sind die dramatische Metapher des Geschehenen: Der Boateng, der für Ghana spielt, ist weg, und übrig ist der Boateng, der für Deutschland spielt.
Warum ist diese uruguayische Mannschaft so stark?
Sie glaubt an das, was sie macht. Die Begeisterung gleicht aus, was ihr fehlt. Ich weiß nicht, ob sie ins Finale kommt, aber wieder ist es wundersam wahr, dass ein Land mit weniger Einwohnern als ein Viertel von Buenos Aires fähig sein kann, die Welttrophäe zu erobern. Die wenigen, die wir sind, feiern, denn Uruguay ist ein fußballverrücktes Land, hier schreien alle Babys bei ihrer Geburt: "Gooooooool!!!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!