Josef-Otto Freudenreich : Wundert euch nicht
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Ach, wie aufregend ist doch das Leben. Da kommt Andreas Renner in die Redaktion, gut gelaunt und mit rotem Schal, amüsiert sich über die Grünen, die im selben Haus residieren, und erzählt zwei Stunden lang, was er Großes vorhat, sollte er denn Oberbürgermeister werden. Der Mann ist witzig, vermeidet den Politikersprech und bekennt, der Vorwahlkampf sei zermürbend und werde immer unschöner, je länger er dauere.
Drei Tage später ist es so weit. Ein neuer Guttenberg scheint entlarvt. Renner, so heißt es, führe einen Titel, der ihm nicht zustehe, weil es ihn gar nicht gebe. Den „Master of Governmental Management“ von der Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg. Und schon steht die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, die eigentlich mit den Parkschützern voll ausgelastet ist, parat, um den Vorgang auf seine strafrechtliche Relevanz zu überprüfen. Das ist nicht mehr lustig, weil der Politprofi weiß, welche Schlagzeilen daraus werden könnten: Staatsanwalt ermittelt gegen Renner. Und das wenige Tage vor dem Showdown mit Sebastian Turner, dem 17. März, wenn die CDU den Kandidaten kürt.
Könnte es nun sein, dass das genau der Stoff ist, aus dem Kontext-Geschichten sein sollten? Wir glauben ja, weil sich daran wunderbar zeigen lässt, wie der Politikbetrieb funktioniert. In diesem Fall bis zum Oktober dieses Jahres, bis der Oberbürgermeister gewählt wird. Nur so nebenbei: auch S 21 geht weiter und der LBBW/Patrizia-Deal ebenso. Aufklärender Journalismus, der sich dem öffentlichen Interesse und keinem anderen verpflichtet sieht, würde da nicht schaden.
Die Lust dazu hätten wir schon – allein es fehlt der Boden bis dahin. Zwischen dem vergnügten und dem geprügelten Renner haben wir, wieder einmal, gerechnet und Folgendes festgehalten: Die erste Kampagne hat uns fast 300 Soliabos gebracht, wofür wir sehr dankbar sind, die uns aber nicht retten. Dazu haben wir Spenden und Lizenzgebühren erhalten, die uns auf jeden Fall Geburtstag feiern lassen. Den einjährigen am 6. April. Bis dato ist mehr (noch?) nicht drin. Danach müssten wir eigentlich, wie Winfried Kretschmann, auf Wunder warten. Aber das tun wir nicht, das ist bekanntlich schiefgegangen. Wir bauen auf Leser und Spender, denen Kontext etwas wert ist. Nichts im Leben funktioniert ohne festen (leider auch finanziellen) Boden unter den Füßen. Diesem Naturgesetz unterliegt auch das Projekt Kontext.