Josef-Otto Freudenreich : Zicke, zacke, Zielcke
Sebastian Turner, PR-Profi und OB-Kandidat in Stuttgart, hat ein neues Sprachrohr: Adrian Zielcke, einen ehemaligen Ressortleiter der Stuttgarter Zeitung, der wundersame Kolumnen für seinen Brötchengeber schreibt.
Unter dem Wappenspruch des Hauses Württemberg („furchtlos und treu“) tut er's nicht, der Adrian Zielcke. Deshalb möcht es schon „furchtlos und frei“ sein, wie er seine Kolumne nennt. Und deshalb kommt kein anderer in Frage, für die er sie schreibt: Sebastian Turner. Er sei unabhängig, sagt der Autor, der sich stets als systemrelevante Ich-AG verstanden hat. Und der Kandidat sei es auch. Also passe das zusammen. Außerdem bräuchten „wir“ Turner „als neuen Oberbürgermeister“. Wegen seiner Fantasie, Tatkraft und der Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen. Dass das schon mal klar ist.
Für die wenigen, die Adrian Zielcke (az) nicht kennen, eine kurze Vita: Jahrgang 1945, von 1970 bis 2010 Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung, jahrzehntelang Ressortleiter Außenpolitik, 2005 zum bekanntesten Schreiber des Blattes gewählt, bis 2012 Kolumnist bei Sonntag aktuell und berühmt geworden durch den legendären Satz: „Ohne die Zustimmung der Stuttgarter Zeitung zu diesem Großprojekt würde, so vermute ich einfach einmal, Stuttgart 21 nie gebaut werden.“ Daneben unterstützt er die Robert-Bosch-Stiftung („eine Perle“), Schusters Bürgerstiftung, das Deutsch-Türkische Forum, die Evangelische Stiftung oder den Tennisclub Ameisenberg. Früher, sagt er, habe er Rot, Grün, Gelb und Schwarz gewählt.
Aber das sind nur die nackten Fakten, die seinem Werk keine Tiefe verleihen. Um Zielckes Gedankenflüge nachvollziehen zu können, muss man mit ihm auf Reisen gehen, die immer am gleichen Punkt enden. In China. Die USA sind out (handlungsunfähig), Europa ist gelähmt (fast handlungsunfähig), Japan abgewirtschaftet (Abstieg), Indien zu vernachlässigen (liegt weit zurück) und Deutschland gefährdet (kein Aufbruch). Insgesamt gesehen, resümiert der globale Denker, müsse man von einem „Ende der Herrschaft des weißen Mannes“ sprechen.
In China dagegen, wohin der amerikanische Traum „ausgewandert“ ist, ist Zukunft. Nicht nur, dass „uns“ die Kommunisten, die eigentlich keine mehr sind, „gerettet“ haben, weil sie am meisten S-Klassen von Daimler gekauft haben. Sie haben auch den „größten Politiker des vergangenen Jahrhunderts“, den Genossen Deng, hervorgebracht. Der hat nämlich gesagt, dass es egal sei, ob die Katze schwarz oder weiß sei. „Hauptsache, sie fängt Mäuse.“ Entscheidend sei dann nicht, folgert Zielcke, ob die Gesellschaft kommunistisch oder kapitalistisch sei, entscheidend sei allein der Erfolg. Darüber habe die KP-Führung „sehr vernünftig“ befunden. Satt zu sein sei auch ein Menschenrecht.
Und wo der Erfolg ist, ist Sebastian Turner. Man könnte auch sagen: Deng gleich Turner. Katze fängt Mäuse. In dieser Dimension muss man die OB-Kandidatur sehen, weil es um nicht weniger geht, als „unsere Wohlstandsdemokratie“ fit zu machen für die Globalisierung. Das wird nicht ohne Opfer gehen, auch nicht in Stuttgart, der „Insel der Seligen“. Das schafft nur ein weltläufiger Unternehmer, einer, der „intelligenter“ ist als seine Gegenkandidaten, die „klügsten Köpfe der Welt“ um sich versammeln kann, um Stuttgart, die Stadt von Bosch, Mercedes und Porsche, vor dem Kollaps zu bewahren. Wie Angela Merkel „unser Land“ mit sicherer Hand „durch den Nebel der Eurokrise führt“.
Dass die anderen dagegen nicht anstinken können, liegt auf der Hand. Fritz Kuhn, der Berufspolitiker, ist gerade mal in Stuttgart, Heidelberg und Berlin gewesen („Auslandsstationen gibt sein Lebenslauf nicht her“) und hat eine Zwei-Mann-Abteilung geführt. Bettina Wilhelm hat ihr ganzes Leben im „Postleitzahlbereich 7“ verbracht („provinzielle Jobhopperin“) und gerade mal 300 Mitarbeiter unter sich, während Turner 1.600 in 20 Ländern dirigiert hat. Und Hannes Rockenbauch darf sich zu den „lindgrünen Spinnern“ zählen, die immer noch dagegen sind, dass S 21 „endlich zügig gebaut wird“. Sollen sie mal nach China gucken, wo Großprojekte rucki, zucki durchgezogen werden. Vom Chinesen lernen, heißt siegen lernen. Alles andere ist Weicheierei.
So wandern Zielckes Kolumnen von einem Ort zum andern, und wer nicht aufpasst, weiß nicht, ob er gerade in Peking, Chicago, Bethlehem oder im Mineralbad Leuze ist, wo es ihm eine Schöne angetan hat. Der Schwindel, der einen leicht erfassen kann, ist aber nichts Schlimmes. Er packt einen nur, wenn man wieder einmal der Stringenz der Argumente und seinem Fähnchen im Wind nicht folgen kann oder sich daran erinnert, wie George W. Bush vom Kriegshelden zum Gekreuzigten abstürzte. Oder wenn man ihn je gehört hat, wie er Zeitungsverleger und Chefredakteure als „Totengräber“ des Journalismus geißelte. Es hilft einfach, zu wissen, dass sie für ihn zwei Tage später die Helden der Pressefreiheit sein konnten.
Wer solche Wunderkerzen mag, freut sich auch an der volatilen Stimme des gehobenen Stammtisches und seiner neuen Freunde. Deshalb empfiehlt Kontext, in aller Kollegialität, „Furchtlos und frei“, Folge eins bis sechs (www.turner.de/news/zielcke-kolumne.html).