: Joschka oder: Die Epiphanie des Grünen
Der ehemalige Pastoren-Ausbilder und Protestant Dr. Klaus Dirschauer beobachtete für die taz den Wahlkampf-Auftritt von Joschka Fischer
Der Tag seines Erscheinens war wieder einmal gekommen, die Gemeinde übte sich geduldig im Warten. Die ganz im Grünengrün gehaltene Bühne mit vorgezogenem Baldachin auf dem Marktplatz zu Bremen erinnerte an die viereckige Apsis einer Kirche. Davor das Halbrund des heiligen Raumes, den die grüne Kommune nicht betreten durfte. Bedauerlicherweise wies die Messkleidung der Polizei nicht den gleichen Grünton (HKS 64) auf.
Der festgelegte Ablauf eines solchen Abends ist der Liturgie des Gottesdienstes nachempfunden. Am Anfang das musikalische Vorspiel, die Begrüßung der Versammelten durch ein Mitglied des Vorstandes, Susann Mittrenga. Die andere Ministrantin dieser Messe, deren apartes Gewand im grünen Ensemble durch das Rot schon auf einen höheren Dienstgrad hinwies, Marieluise Beck, kündigte noch einmal die Ankunft des Kommenden an.
Dann rollte das Joschka-Mobil herein. Der in Gerabronn geborene Dr. hc. Joseph Martin Fischer begrüßte flüchtig seine beiden Ministrantinnen und kam sofort zur Sache. Seine fast einstündige Ansprache zeichnete sich durch eine eindrucksvolle Gebärdensprache der Hände und versagende Modulation der Stimme aus. Sie ist durch falschen Mundabstand zum Mikrophon von Heiserkeit überlagert. Er nahm die Zuhörenden bewusst in den Blick und wusste sie stimmlich auch zu erreichen.
Seine parteipolitisch-plakativen Positionen wurden facettenartig vorgetragen. Sie erinnern kirchlich an eine dogmatisierende Predigtweise ohne jeglichen Schriftbezug. Sein Programm ist medial hinlänglich bekannt.
Seine Hände reden aufschlussreich. Durch und durch ein Selbstdarsteller. Dabei ruht die Linke in der Hosentasche. Sie kehrt nur hervor, wenn die Eindringlichkeit der politischen Mitteilung sie ganz beansprucht. Die Erhebung beider Hände erstreckte sich nur einmal über die eigene Statur hinaus, nahm ein erhebungsvolles Ausmaß wie bei einer Segensgeste an.
Der Politikprediger mit dem eigenen Tourtagebuch redete frei. Er hat alles im Kopf, was mitunter schon zu Wortstaus führt. Doch seine rhetorische Routine lässt deutlich Abnutzungserscheinungen erkennen. Diese liegen weniger an den Sachaussagen. Ihre Ursache ist mehr im Ich-Subjekt und seiner Rollenkonfusion zu suchen. Das schwache Ich des stark Sprechenden flüchtet ständig zu dem Wir der Partei bzw. Mit-Uns der Fraktion, appelliert an die Vernunft, die einzuschalten sei, und fordert, den Verstand zu gebrauchen. Die herauf beschworenen Szenarien des Schreckens in dieser Welt verkommen aber zu Argumenten, eine Stimmabgabe am 18.9. für die Grünen zu erwirken. Das erinnert an apokalyptische Prediger in den USA.
Doch die rechte Hand des Politikers fasst auch gelegentlich in einer unverkennbaren Haltung an die eigene rechte Kopfseite oberhalb der Schläfe, so als würde er nachdenklich werden. Eine bemerkenswerte Geste des sympathischen Kandidaten. Der dankte, sagte: „Gute Nacht“. Nicht „Deutschland“. Und verschwand.
Der starke Applaus des Wahlvolks dankte es ihm, das er erschienen war. Am selben Abend stand noch eine Begegnung anderer Art mit seinem potentiellen Nachfolger im Amt, Dr. Wolfgang Schäuble, bei Sandra Maischberger (ARD) an.