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Jonny K.„B.Z.“ bringt Prozess zum Platzen

Das Verfahren gegen die mutmaßlichen Schläger vom Alexanderplatz muss neu aufgerollt werden – weil ein Boulevardblatt Äußerungen eines Laienrichters abdruckte.

Abgetaucht: bis auf Weiteres ist der Prozess vertagt Bild: dpa

Der fünfte Prozesstag um die tödliche Schlägerei auf dem Alexanderplatz beginnt mit einem Paukenschlag. Sichtlich aufgewühlt verliest der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck einen Artikel aus der B.Z.. „Berlins mutigster Schöffe“, lautet die Schlagzeile. Der Bericht zitiert den Schöffen Siegfried K. – einen der beiden Laienrichter – mehrmals wörtlich. Über die Verteidiger der sechs Angeklagten sagt K.: „Die wollen halt den Prozess kaputt machen“. Dieser Satz gibt den Ausschlag: Wegen „Besorgnis der Befangenheit“ des Schöffen platzt der Prozess.

Und nun? Zurück auf Los. Die Verhandlung um den Tod des 20-jährigen Jonny K. muss noch einmal ganz von vorn aufgerollt werden. Am Donnerstag wird die Staatsanwalt erneut die Anklageschrift verlesen. Der Schöffe Siegfried K. wird dann nicht mehr dabei sein.

Der Prozess wird sich nun mindestens bis August hinziehen. Ursprünglich war er bis zum 20. Juni terminiert. „Ich finde das in höchsten Maße bedauerlich und für viele Verfahrensbeteiligten extrem belastend“, sagt Schweckendieck. Der Satz richtet sich vor allem an die sechs Angeklagten sowie Schwester und Freund des getöteten Jonny K., die Nebenkläger sind. In 34 Amtsjahren habe er nur einmal Vergleichbares erlebt, so der Vorsitzende.

Der Schöffe, ein 58-Jähriger mit grauem Lockenkopf und Vollbart, verfolgt die Debatte um seine Person mit hochrotem Gesicht. Ausgangspunkt für die B.Z.-Geschichte war, dass Siegfried K. einen aussageunwilligen Zeugen am letzten Prozesstag gefragt hatte: „Sind Sie zu feige oder wollen Sie das Gericht verarschen?“ Die Verteidiger hatten den Laienrichter daraufhin wegen Befangenheit abgelehnt. Die Entscheidung über den Antrag hatte das Gericht aber bis zum 6. Juni zurückgestellt. Nicht einmal die Verteidiger waren mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtssprechung ernsthaft von einer Ablösung des Schöffen ausgegangen. Es sah alles danach aus, als gehe das Verfahren weiter, nachdem sich der Laienrichter entschuldigt hatte.

„Berlins mutigster Schöffe“

„Berlins mutigster Schöffe spricht“ – die B.Z.-Schlagzeile sprang Richter Schweckendieck am Montagmorgen in der S-Bahn an. „Weil ein Laienrichter das sagte, was alle dachten, droht das Verfahren zu platzen“, heißt es im Text. Genau das ist nun passiert: weil das Springer-Blatt kräftig nachgeholfen hat. Man habe den Laienrichter, der eine Jugendeinrichtung leite, auf den Eklat im Landgericht angesprochen, heißt es weiter.

Von Schweckendieck zur Rede gestellt, erklärt der Schöffe, der Reporter habe ihn bei seiner Arbeit aufgesucht. Er habe aber kein Interview mit den zitierten Äußerungen gegeben. Schweckendieck lässt daraufhin den Reporter von der Justizpressestelle telefonisch befragen. Der versichert, das Gespräche habe wie zitiert stattgefunden. Damit ist für das Gericht der Fall klar.

Ursache für die Aussetzung der Verhandlung seien zwar die problematischen Äußerungen des Schöffen, sagt Schweckendieck. Jedoch müssten sich auch die Journalisten, die Siegfried K. aufgesucht hätten, fragen lassen, ob dies für den Fortgang des Verfahrens förderlich gewesen sei. Staatsanwalt Michael von Hagen bemerkt süffisant, er wisse schon, was er als nächstes in der B.Z. stehe: „Die Justiz hat versagt“.

Für drei der sechs Angeklagten bringt der Montag eine gute Nachricht: Sie werden vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Bei den Angeklagten Onur U. und Bilal K. dauert die Haft hingegen fort.

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14 Kommentare

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  • B
    Berlin-txl

    Irgendwann fehlt wieder ein Angeklagter und alles STOPP! Im Namen des Volkes ist das nicht!

  • L
    Lars

    @LoVo:

     

    Das Problem ist nicht, dass der Schöffe den Zeugen in die Mangel genommen hat. Da hätte man die Befangenheit noch verneinen können, schließlich steht es einem Zeugen ja frei, Belastendes oder Entlastendes vorzubringen. Er hat ja nicht vom Zeugen verlangt, endlich einen Angeklagten zu belasten.

     

    Das "Todesurteil" war die Aussage gegenüber der Zeitung. "Persönliche Meinung" ist da keine Ausrede. Das Problem ist doch folgendes: Der Schöffe gibt zu, dass er die Anträge der Verteidigung nicht ernst nimmt, weil die ja "nur den Prozess zum platzen" bringen lassen wollen.

     

    Er ist aber Teil des Gerichts und entscheidet damit logischerweise mit über die Anträge - und hat mit entschieden über die vorherigen Anträge. Bei solchen Aussagen muss die Verteidigung zwingend davon ausgehen, dass ihre Anträge nicht als ordnungsgemäße Anträge eines Organs der Rechtspflege wahrgenommen werden, sondern nur als sach- und rechtswidrige Prozessbehinderung. In so einem Fall ist ein neutrales Urteil über die Anträge durch den Schöffen aber nicht zu erwarten.

  • S
    Schinken

    Witzig,dem Richter wird Befangenheit vorgeworfen und gleichzeitig scheint hier jeder die Angeklagten schon als Täter zu sehen...Aber von Rechtsstaat brabbeln. Ich weiß, an Richter werden höhere Anforderungen gestellt, sollten sie aber nicht. Diese ,,hohen'' Anforderungen an Fairness und unvoreingenommenheit sollten üblich sein und damit besondere ANsprüche an Richter nichtig machen. Und zu dem Richter, wer weiß, vielleicht war er blöd, vielleicht voreingenommen und vielleicht sogar ruhmsüchtig. Ich halts aber für plausibler das ihm der Kragen geplatzt ist als ein Angeklagter die (übliche, weil von so ziemlich jedem Verteidiger empfohlene) strunzdumme Antwort gab, die in etwa auf: ,,Ich kann mich nicht erinnern'' hinausläuft. Und die BZ hat daraus nen Aufreisser mit erfundenem Interview gemacht. Wie so oft...

  • S
    Schneider

    Der Schöffe ist ein rücksichtsloser Selbstdarsteller, der sich darin gefallen hat,"Volkes Stimme" zu spielen und sich dafür in der Boulevardpresse als "mutig" feiern zu lassen.

     

    Dass dafür in einem Strafprozess aus guten Gründen kein Platz ist, hätte ihm bekannt sein müssen.

     

    Durch sein Verhalten hat der den Tätern und ihren Unterstützern genützt, der Rechtsstaatlichkeit geschadet, das Opfer und seine Angehörigen und Freunde und damit alle anständigen Menschen verhöhnt.

     

    Wer von der BZ gelobt wird, sollte sich fragen, ob er etwas falsch gemacht hat, und erst einmal Abstand halten. Leider hat nicht jeder die notwendige Charakterstärke hierfür.

  • K
    Klaus

    Die B.Z. hat die Befangenheit eines Schöffen aufgedeckt. Damit hat sie sogar dem Rechtsstaat einen Dienst erwiesen, nunmehr wird ein Verfahren mit unvoreingenommenen Schöffen durchgeführt werden.

     

    Wenn die TAZ solch ein Verhalten als Vorwurf auffasst, weil sie ein schnelles Urteil einem rechtstaatlichen Urteil vorzieht und weil auch noch die bösen Leute von Springer dabei waren, sollte man ernsthaft bei der TAZ mal eine Diskussion zu den eigenen Vorurteilen beginnen.

  • A
    Anita

    @Alan Smithee

     

    Irgendwie schon.

    Die Aussage, dass die Anwälte der Angeklagten den Prozess kaputt machen wollen, ist schon heftig.

    Für mich klingt das irgendwie, als wolle er, dass die Angeklagten verurteilt werden, ob sie es nun schuld waren oder nicht.

  • AS
    Alan Smithee

    Hat nicht die Zeitung mit ihrer Geschichte aufgedeckt, dass der Schöffe tatsächlich befangen ist und damit der Justiz einen Gefallen getan? Hätte das Gericht vorher einen Ersatzschöffen nominiert, hätte das Verfahren außerdem fortgesetzt werden können.

  • L
    LoVo

    Ich finde es es ist übertrieben nun dem Laienrichter die schuld für die Wiederholung anzulasten. Auch die BZ würde ich dafür nicht verantwortlich machen. Statt dessen sollte man mal die Regelungen überprüfen und ggf. entschärfen. Zum Einen ist es ja gewollt, das die Laienrichter Nicht-Juristen aus dem Volk sein sollen. Also sollte man bei den Ansprüchen an die Wortwahl nicht so kleinlich sein. Zum Anderen sollte man doch mal genau feststellen, was der Schöffe wirklich gemeint und beabsichtigt hat. Er hat einen Zeugen sinngemäß bzw. umgangssprachlich darauf hingewiesen und aufgefordert, wahrheitsgemäß auszusagen. Dazu ist dieser auch verpflichtet - sofern er sich nicht selbst belastet. Also viel Wind um nichts. Was die angebliche Aussage ggü. der Zeitung betrifft, so ist das nur eine persönliche Meinung über den Fortgang eines Neben-Verfahren, auf das er keinen Einfluß hat. Also keine Meinung über das Endurteil, oder Schuld der Angeklagten. Man sollte in solchen Sachen nicht so kleinlich sein. Ein anderer Fall, in dem ein Schöffe entbunden wurde, weil er auch dem Staatsanwalt einen Schokonikolaus Morgens auf den Tisch gestellt hatte (siehe Lawblog), ist genauso albern. Demnchst werden Schöffen noch wegen angeblicher Befangenheit entbunden, wenn sie in der Verhandlung husten, oder Anwesende schief ansehen oder dem Staatsanwalt freundlich grüßen. Man sollte das Verhalten und Aussagen der Richter ggü. Angeklagten schon genau beobachten, ob möglicherweise eine Befangenheit vorliegen könnte, man sollte es aber auch nicht übertreiben.

  • J
    Jonas

    Ich sehe das Problem hier wirklich nur beim Laienrichter. Dass es von der Zeitung aufgenommen wurde, ist zwar blöd gelaufen, aber vorhersehbar.

  • J
    Jeeves

    Vielleicht sollte man der schmuddligen kleinen Berliner Schwester der Blödzeitung (wie auch der Blödzeitung und ähnlichen reinen Unterhaltungs- und Sensationsgazetten) den Schutz der Pressefreiheit komplett entziehen?

  • O
    Observer

    Die heuchlerische, verlogene Springerpresse hat den Prozess vorsätzlich zum Platzen gebracht. Gegenüber Siegel Online äußerte sich eine Sprecherin der B.Z. folgendermaßen: "Es ist aber zugleich Aufgabe der Presse, alle Fakten und Hintergründe dieses für Berlin so wichtigen Prozesses zu beleuchten. Dies haben wir getan und werden weiterhin über den Prozess berichten."

     

    Das ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Wie verlogen muss man sein, wenn man die Äußerungen dieses scheinbar strunzdummen Laienrichters veröffentlicht. Sicher hat auch die bz einen Hausjuristen, der den scheinheiligen bz'lern hätte klarmachen können, dass der Prozess mit der Veröffentlichung zum Platzen gebracht wird.

     

    Möchte auch gerne wissen, was sich dieser einfältige Mann bei seinem Interview gedacht hat. War er nur auf die berühmten 15 Minuten Ruhm aus? Der Mann hat durch seine Äußerungen seine Befangenheit eindrucksvoll dokumentiert.

  • K
    krächzstaat

    na ja , die rote blut und hoden schiene des axel springer verlags kämpft mit rapide fallenden absatz und erlöszahlen ,derweil sich das spitzenpersonal in gebotener entfernung mit technischen kinkerlitzchen und politbussis bzw. mit milliardenerbinnen entspannt

     

    da kann doch die öffentlichkeit nicht verlangen,daß die mannschaft eines strauchelnder verlags auf irgendwelche kulturellen errungenschaften im gesellschaftlichen umgang miteinander rücksicht nimmt

     

    der zukünftige paywall ritt der axelspringer verlagsverantwortlichen im rasierschaum,verkauft als ritt auf der klinge,wird diese alltagsirren nicht davon abhalten den zeitungs und zeitschriften verlag in die bedeutungslosigkeit zu rocken.

     

    der friedefertige längste medienmanager potsdams und berlins macht sich immer öfter seine news selbst

  • U
    Ulli

    Dieser Schöffe Siegfried K. ist nicht der mutigsten Schöffe, sondern wohl eher einer von den besonders stümpferhaften. Wenn ich es richtig weiß, gibt es für Laienrichter zunächst Kurse, in denen sie über die grundlegenden Prinzipien eines Rechtsstaates wie dem unsrigen aufgeklärt werden.

    Dort erfahren sie, dass sie ihr Amt unabhängig, neutral, und vor allem emotionsfrei und vorurteilsfrei gegenüber dem Angeklagten und auftretenden Zeugen auszuüben haben, und jede Parteinahme eines Richters, sei es berufs- oder Laienrichter, die Besorgnis der Befangenheit auslösen kann und einen Prozess ohne gewählte Ersatzrichter in jeder Phase des Prozesses zum Platzen bringen kann, alleine schon weil der jeweilige Anwalt diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen läßt.

     

    Diese Kurse hat Laienrichter K. wohl offenbar nicht besucht. Sie sind allerdings auch freiwillig.

     

    Auch ohne B.Z. hätte der Anwalt von Jonny K. hier im Sinne seines Mandanten eingrätschen müssen.

    Wenn ein Richter parteilich agiert, oder gar Zeugen versucht zu beeinflussen, und sei es durch Beschimpfungen, ist er befangen, und dann ist der Prozess gefährdet.

    Natürlich ist es in Prozessen eher üblich, dass die Laienrichter dem Ganzen mehr oder weniger interessiert aber passiv einfach nur zusehen, obwohl ihre formalen Rechte denen der Berufsrichter gleichgestellt sind. Im komplizierte System des Strafrechtes lauern nämlich zahlreiche Fußangeln, in denen sich auch gutwillige Laienrichter flugs verfangen können, wenn sie sich bemüßigt fühlen, selbst in den Prozess aktiv einzugreifen.

    Laienrichter Siegfried K. war aber, wenn man der BZ glauben darf, nicht gutwillig, sondern allenfalls grenzenlos naiv. Jonny K. wird sich herzlich bedanken. Denn je mehr Zeit ins Land geht, je eher trüben sich die Erinnerungen der Zeugen ein, und je unwahrscheinlicher wird eine Verurteilung.

    Und unter diesen Rahmenbedingungen ist ja noch nicht mal ein sogenannter "Deal" (Geständnis gegen Strafrabatt) denkbar.

  • J
    Jugi

    BZ lässt Prozess platzen?

    So kann man es auch darstellen. Tatsache ist jedoch, dass "Berlins mutigster Schöffe" (BZ), Profilneurotiker Siegfried Kehrer, in dem Glauben, als Gutmensch über den Dingen zu stehen, letztendlich für das Aussetzen des Prozesses verantwortlich ist. Auf den Dank der Angeklagten und ihrer Freunde kann er stolz sein.