John Cornwells Studie „Die Beichte“: Die Quelle des Missbrauchs
Die von Papst Pius X. 1910 erlassene wöchentliche Beichte war Ursprung vieler Probleme der Kirche. Über die Geschichte der Beichte erschien jetzt ein Buch.
Es ist ja nicht so, dass heute nicht mehr gesündigt würde. Es wird nur nicht mehr gebeichtet in den katholischen Gemeinden, wie der britische Historiker und Fellow am Jesus College in Oxford, John Cornwell, in seiner aktuellen Untersuchung „Die Beichte“ berichtet. So weit ist der Niedergang des Bußsakraments fortgeschritten, dass der Gang zur Beichte in den kirchlichen Statistiken in Deutschland schon gar nicht mehr auftaucht.
Vielleicht würde manch sündiger Mensch ganz gerne beichten. Freilich scheint es, als ob die Kirche keine rechte Verwendung für unsere Sünden hätte. Denn in Zeiten, in denen es uns reut, dass jede zweite Geschäftsidee oder Managemententscheidung auf Betrug oder Erpressung gründet, auf Ausbeutung, Steuerhinterziehung, Gewalt gegen Tiere und Raubbau an der Natur, erscheint die katholische Konzentration auf Fragen der Sexualität besonders abwegig.
Warum ist die Kirche unfähig, statt des sexuellen das soziale Verhalten in den Mittelpunkt zu rücken?, fragt Cornwell und findet die Erklärung in der Definition der lässlichen und der Todsünden. Letztere sind bewusste Verfehlungen gegenüber Gott. Dass sie gleichzeitig – und man würde doch sagen wollen, vor allem – Verfehlungen gegenüber den Freunden, der Familie, den Kollegen, also gegenüber den Menschen sind, mit denen wir umgehen, spielt für die katholische Theologie keine Rolle. Und keine Rolle spielt auch der Körper oder die körperliche Integrität der Gläubigen, sind beide doch im Gegensatz zur unsterblichen Seele nicht von Belang.
John Cornwell: „Die Beichte. Eine dunkle Geschichte“. Berlin Verlag 2014, 319 Seiten, 22,99 Euro
Provokant wird Cornwells Studie zur Geschichte und zur Gegenwart der Beichte dadurch, dass er Papst Pius X. und sein Dekret „Quam singulari“ in den Mittelpunkt seiner Abhandlung stellt. In ihm bestimmte Pius X. 1910, dass jeder Katholik von nun an einmal in der Woche, statt wie früher einmal im Jahr, zur Beichte gehen müsse. Und noch viel dramatischer: Pius X. führte damit die Kinderbeichte und die Erstkommunion für die erst Siebenjährigen ein. Zu Recht spricht Cornell von einem „der gewagtesten Experimente an Kindern, die je im Namen des Christentums verordnet wurden“.
Traumatisierung schon der Jüngsten
Evident ist die Gefahr der Traumatisierungschon der Jüngsten durch das Ideal des „gehorsamen Gotteskindes“ nicht weniger als den allgegenwärtigen Richtergott. Selbst sie konnten nur durch die Beichte von ihren Todsünden freigesprochen werden und den mit ihnen verbundenen Höllenstrafen und der ewigen Verdammnis entkommen. Gefährlich aber war das Experiment der Kinderbeichte vor allem deshalb, weil sie dem sexuellen Missbrauch den Weg bereitete. So frühzeitig und räumlich so intim wie im Beichtstuhl waren sich Kinder und Priester bis dahin noch nie begegnet. Letzterem bot sich hier eine ideale Möglichkeit, den späteren Missbrauch anzubahnen und das Kind daraufhin abzuklopfen, wie gut es sich als Opfer eignete.
John Cornwells These hat viel für sich, stringent zu belegen ist sie aber kaum. Es fehlen die Daten. Nicht zuletzt deshalb, weil in Lehrbüchern zur katholischen Sexualmoral, etwa Henry Davis’ „Moral and Pastoral Theology“, Kindesmissbrauch erst gar nicht vorkommt. Während der Moraltheologe der Masturbation fünf lange Seiten widmet, reicht ihm eine drittel Seite für das Thema Vergewaltigung, das, wie er irrtümlich meint, nur Frauen angeht.
Das Verbrechen des Missbrauchs soll denn auch nur ein Schaden für den Sünder selbst sein, der sich mit seiner Tat von Gott abwendet und damit seine eigene Seele verletzt. Dass er die Seele auch seines Opfers verletzt, kommt in diesem Konzept nicht vor. Da die Seele des missbrauchten Kindes von außen nicht geschädigt werden kann– dazu braucht es nach katholischem Verständnis seinen eigenen, willentlichen Verstoß gegen Gottes Gebot – und gleichzeitig die körperliche Verletzung nicht zählt, wundert es nicht, dass die Kirche zum sexuellen Missbrauch ihres Klerus keine Haltung findet.
Neben der befremdlichen Sündenlehre befördert eine nicht minder befremdliche, weltabgewandte Ausbildung der Priesterschaft, wie John Cornwell detailliert darlegt, das selbstgefällige Auftreten der Kirche. So charakterisierte Papst Johannes Paul II. das Verbrechens des Missbrauchs als „Mysterium des Bösen“. Der Satan persönlich steckt dahinter, nicht der kleine katholische Priester. Dass Johannes Paul II. der Beichte wieder eine zentralere Stellung im Kirchenleben zu geben versuchte, versteht sich von selbst.
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