John Cales neues Album: „Ich wollte Dirigent werden“
Der 70-Jährige Musiker John Cale über seine Tournee, Bratschen, HipHop, Drogen und die Zeit mit Velvet Underground.
Beim Interview verzieht John Cale keine Miene. Manchmal verharrt sein Blick in der Ferne – immer dann, wenn ihm eine Frage nicht passt. Mit ernstem Gesichtsausdruck doziert der gebürtige Waliser über Klassik, Avantgarde und seine Zeit mit Velvet Underground. Für sein neues Album „Shifty Adventures In Nookie Wood“ hat er analoge Instrumente mit elektronischen Beats vermischt. Ein Versuch, dem Mainstream ein Schnippchen zu schlagen.
taz: Mr Cale, Sie sind 70 Jahre alt, machen seit mehr als 50 Jahren Musik. Was treibt Sie an?
John Cale: Verschiedene Dinge. Ich finde den Songwriting-Prozess nach wie vor spannend. Dazu kommt, dass ich ein recht ungeduldiger Mensch bin. Deshalb habe ich oft das Gefühl, nicht effizient genug zu arbeiten. Ich frage mich dauernd, wie ich wohl meine Fertigkeiten als Komponist verfeinern kann. Schließlich will ich meine Zeit nicht verschwenden, sondern außergewöhnliche Klänge erkunden.
Welche Rolle spielt Ihre musikalische Vergangenheit?
Naturgemäß kann ich sie nicht verleugnen – sie ist ein Teil von mir. Aber es reizt mich überhaupt nicht, meine alten Sachen mit jedem weiteren Album zu wiederholen. Mein Ziel ist es, völlig neue musikalische Formen für ein Stück zu entdecken. Wenn ich zum Beispiel den Refrain gegen die Strophe austausche, klingt ein Song viel interessanter, weil damit die alte Ordnung durcheinandergebracht wird.
Betrachten Sie Ihre Musik stets als Work in Progress?
Unbedingt. Für mein neues Werk „Shifty Adventures In Nookie Wood“ habe ich mich nicht zum Komponieren ans Klavier gesetzt und auch nicht zur Gitarre gegriffen. Ausgangsbasis für die Songs waren elektronisch generierte Drumbeats. Irgendwann gesellte sich ein Bass hinzu. So entwickelte ich allmählich eine konkrete musikalische Idee. Weder Tempo noch Rhythmus waren so, wie ich sie ursprünglich geplant hatte.
70, wurde am 9. März 1942 im walisischen Garnant geboren. Er studierte am Londoner Goldsmiths College Musik. 1963 schrieb er sich an der Berkshire School Of Music für Klavier und Bratsche ein und organisierte eines der ersten Fluxus-Konzerte in Großbritannien. Im selben Jahr ging er nach New York und arbeitete unter anderem mit John Cage, La Monte Young, Tony Conrad und anderen Musikern der Avantgarde, bevor er mit Lou Reed 1965 The Velvet Underground gründete.
Drei Jahre später verließ er die Band wieder, um sich seiner Solokarriere zu widmen. Cale produzierte 1968 das Debütalbum von Nico, kurz darauf das der Stooges, nebenher machte er sich als Filmkomponist einen Namen. Sein Soloalbumdebüt erschien 1970. Es zeigte Cale, der heute in Los Angeles lebt, als einen der wichtigsten Vertreter der Minimal Music. 2009 repräsentierte er Wales bei der Biennale in Venedig, ein Jahr später wurde er zum Officer of the British Empire ernannt. Vom 14. bis zum 23. Oktober geht er auf Tournee. Sein neues Album "Shifty Adventures in Nookie Wood" erscheint nächste Woche bei Domino Records.
Sie orientieren sich an den Parametern der Minimal Music. Haben Sie sich nie von ihr lossagen wollen?
Wozu? Mit der Reduktion von Minimal Music kann ich ganz wunderbar experimentieren. Sie lässt sich ohne weiteres auf die Sphäre der elektronischen Musik übertragen.
Sind Sie dort inzwischen heimischer als in der Klassik?
Ich habe mich nie völlig von klassischer Musik abgewendet. Im Gegenteil: In Brooklyn gibt es ein paar äußerst begabte Nachwuchskomponisten, mit deren Werken ich mich intensiv auseinandersetze. Meiner Ansicht nach tut sich gerade sehr viel auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik.
Machen Sie unter den jungen Talenten einen neuen John Cage aus?
Darauf kommt es nun wirklich nicht an. Entscheidend ist doch, dass junge Komponisten ihren eigenen Stil finden. So wie Cage seinerzeit. Seine Werke waren ziemlich abstrakt, darum faszinieren sie mich bis heute.
Was bedeutet Ihnen Stille?
Ich schätze sie außerordentlich. Deswegen schütze ich mich vor einer musikalischen Dauerberieselung und verzichte aufs Radio. Sonst würde ich womöglich irgendwo eine Melodie aufschnappen, die ich dann unbewusst in meine eigene Musik einfließt. Das wäre eine Katastrophe!
Sie ignorieren Trends?
Nein. HipHop finde ich hochinteressant und innovativ. Ist Ihnen klar, dass sich Pharrell Williams an der Musique concrète orientiert? Besonders gut zeigt sich das an dem von ihm produzierten Snoop-Dogg-Track „Drop It Like it‘s Hot“. Sein Arrangement zeichnet sich durch Minimalismus aus. Trotzdem stecken viele raffinierte Details drin.
Haben Sie deshalb den HipHop-Produzenten Danger Mouse für Ihr neues Album engagiert?
Als er das zweite Album der Band The Shortwave Set produzierte, lud er mich ein, mit ihnen Bratsche und Synthesizer zu spielen. Nebenbei entstanden ein paar Songs, die wir nie zu Ende brachten. „I Wanna Talk 2 U“ war einer von ihnen – für mein neues Album habe ich ihn noch ein wenig überarbeitet. Trotzdem hört man bei dieser sanften Nummer deutlich den Einfluss von Danger Mouse heraus. Meine Stücke sind ansonsten viel rauer.
Was sagen Ihnen die Vorstellungswelten der Rapper?
Ich gebe zu: Macho-Gehabe kann ich nicht leiden, Sexismus widert mich an. Aber es gibt Ausnahmen, die mit Ironie und Humor zu jonglieren wissen. Kokane ist so ein Fall. Er pflegt in seinen Raps in drei, vier verschiedene Persönlichkeiten zu schlüpfen. Böser geht es nicht!
Leuchten Sie in Ihren Stücken auch die Abgründe der menschlichen Seele aus?
Zumindest treibt mich in meinem Song „Hemingway“ die Frage um, wie der Spanische Bürgerkrieg den amerikanischen Schriftsteller verändert hat. Wahrscheinlich ließ ihn das Horrorszenario, das er in Guernica erlebte, nie wieder los. Er trug es vermutlich wie ein Trauma mit sich herum.
Gibt es in Ihrem Leben ebenfalls Dinge, die Sie nicht mehr losgelassen haben?
Ich hätte mich lieber von Drogen fernhalten sollen. Anfangs dachte ich, ich würde dadurch zu kreativen Höhenflügen angetrieben. Das war ein fataler Irrtum. Als ich endlich clean war, merkte ich, dass ich meine Produktivität binnen kürzester Zeit steigern konnte.
Sie bereuen also Ihre Drogenexperimente?
Sicherlich haben mich meine Exzesse nicht weitergebracht. Aber wenigstens habe ich immer kontinuierlich gearbeitet. Meine Musik war nie neben der Spur, mein Benehmen schon.
Mit Lou Reed lagen Sie bei Velvet Underground ständig im Zwist.
Dabei ging es aber stets um künstlerische Fragen. Wir haben damals intensiv experimentiert, auch mit Drogen, und definierten uns als Avantgardisten, die ihren eigenen Weg gehen wollten. Jenseits der ausgetretenen Pfade.
Passte Sängerin Nico denn in dieses Konzept?
Als Andy Warhol sie anschleppte, waren weder Lou noch ich begeistert, denn wir hatten zuvor mit Musikerinnen nicht die besten Erfahrungen gemacht. Meist standen Lou und ich im Kampf um die Gunst der Frauen in Konkurrenz zueinander. Nico jedoch gab uns tatsächlich künstlerischen Input. Dank ihrer Anwesenheit schrieb Lou tolle Liebeslieder.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Lou Reed heute?
Wir sind Geschäftsführer einer gemeinsamen Firma, insofern müssen wir uns ab und an zusammenraufen. Ansonsten kümmert sich jeder von uns um seine eigenen Projekte.
Stimmt es, dass Sie Ihre gemeinsame Zeit verfilmen wollen?
Eines Tages kam ich auf die Idee, ein Drehbuch zu schreiben. Es handelt davon, wie der junge Mozart in den sechziger Jahren nach New York kommt. Sicherlich ist da eine ganze Menge Persönliches mit eingeflossen, man könnte vielleicht sogar von einer versteckten Autobiografie sprechen. Allerdings ist die Geschichte noch nicht ausgereift.
Träumten Sie von einer Karriere als Rockstar, als Sie in den frühen 60ern nach London ans Konservatorium kamen?
Ursprünglich war es mein Plan, Dirigent zu werden. Ich begeisterte mich für Sinfonien, konnte sie akribisch analysieren. Davon profitiere ich noch heute, wenn ich einen Song schreibe. Ich spiele mit seinen Strukturen, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Dann studiere ich das Stück mit meinen Musikern ein. Das ist für mich ein wunderbarer Moment, weil ich mich ein bisschen wie der Dirigent fühle, der ich so gern geworden wäre.
Was bedeutet Ihnen die Bratsche, die Sie in den Rock ’n’ Roll eingeführt haben?
Ich liebe es, ihr atypische Klänge zu entlocken. Darum habe ich sie bewusst von der Norm abweichend gestimmt. Wenn ich sie heute einsetze, kreiere ich beinahe von selbst eine ungewöhnliche Atmosphäre. Das ist genau das, worauf es bei meiner Musik ankommt. Glattgebügelte Hooklines interessieren mich nicht. Ich möchte musikalisch immer wieder Neuland betreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“