Johannes Kopp Russia Today: Eine weise Antwort eines klugen Trainers auf die Frage einer Mutter
Das Land leert sich. Je näher der sportliche Höhepunkt, also das WM-Finale am Sonntag rückt, desto mehr schwindet aus dem russischen Alltag die Abwechslung, der Ausnahmezustand, den die Fußballanhänger aus aller Welt hier hergestellt haben. Es wird deutlich weniger gesungen am Roten Platz in Moskau und an den vielen anderen Orten dieses Landes, wo sich die Fans besonders häufig über den Weg liefen. Das Crescendo der sportlichen Spannung wird von einem Decrescendo an Emotionalität begleitet.
Seit Längerem schon sind die unglaublichen Massen an Süd- und Mittelamerikanern wieder auf die andere Hälfte der Erdkugel zurückgereist. Und seit noch Längerem ist die ebenso zahlreiche deutsche Anhängerschaft wieder verschwunden. Mit ihrem Lieblingshit „Die Nr.1 der Welt sind wir“ waren sie eh nicht so die völkerverbindenden Stimmungsmacher. Das ist vielleicht eine der größten Errungenschaften dieses Turniers, dass dieses Lied der nationalen Überlegenheit aus deutschen Kehlen seit fast zwei Wochen nicht mehr zu hören ist.
Jedenfalls: Aus Sotschi sind am Sonntag und Montag mit einem Schlag alle WM-Touristen abgeflogen. Viele Russen waren darunter, die sich extra auf die Reise ans Schwarze Meer gemacht haben, um ihr Team ins Halbfinale zu brüllen. Sie haben alles gegeben, entsprechend leise sind sie auf meinem Flug nach Krasnodar, wo ich einen Zwischenhalt habe. Fast niemand wechselt Worte. Lediglich ihre kleinen russischen Fähnchen weisen auf die Feststimmung vom Samstag hin.
Auf den Bildschirmen am Flughafen in Sotschi liefen noch die Szenen von den letzten WM-Spielen. So relativ frisch, wie sie auch sein mögen, erst wenige Tage alt, sie fühlen sich doch schon weit entfernt an. Ein vielleicht achtjähriger Junge im Trikot der russischen Nationalmannschaft, der mit seinem Vater auf den Weiterflug nach Krasnador wartet, vertreibt sich die Zeit bereits mit einem Eishockeyspiel auf dem Computer. Der Fußball, scheint es, wird langsam aber sicher wieder an den Rand gedrängt.
Die verbleibenden Spiele in Sankt Petersburg und Moskau sind offenbar eher etwas für Betroffene und Fußballnerds. Aber von ihnen gibt es ja auch noch einige in Russland. Sie werden in beiden Städten noch einmal kräftig für Stimmung sorgen. Was dann von der großen Fußballeuphorie bleibt, wird man sehen.
Beim letzten Spiel der Russen meldete sich eine Journalistin zu Wort, die Trainer Stanislaw Tschertschessow ausdrücklich „als Mutter“ fragte, was man tun könne, damit künftig mehr Kinder in Russland Fußball spielen. Der erfahrene Coach sagte nur lapidar: „Sie können niemand zwingen.“ Seine weise Antwort galt vermutlich auch den Vätern.
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