Jörn Kabisch Angezapft: Ein wahrlich beeriges Bier
Es gibt Gewürze, die kaufen viele Menschen im Leben nur einmal. Ein Rezept schrieb sie vor, also ging man in den Supermarkt und kam mit einem Beutel Lorbeer, Piment oder Wacholder zurück. Und wann immer man wieder eine Brühe macht oder einen Eintopf, wandern ein paar der trockenen Blätter oder grauen Kügelchen mit in den Topf. Aus welchem Grund? Das kann kaum jemand sagen. Vielleicht: Zur Abrundung?
Vor ein paar Wochen hat mir eine Bekannte ein Glas selbst gesammelte Wacholderbeeren mitgebracht. Sie sahen schon anders aus als das, was man sonst in Gewürzgläsern findet. Nicht gräulich verschrumpelt, sie glänzten schwarzblau. Und als ich in eine hineinbiss, verstand ich, warum man die Zapfen dieser Zypressenart Beeren nennt. Nicht nur weil sie so aussehen, sondern weil sie so schmecken: sogar etwas süßlich-fruchtig, wie herbe Blaubeere, in die sich der erdige, würzige Duft des Waldbodens geschlichen hat.
Es hatte nichts von dem typischen Geschmack, den man vom Gin kennt – ich nippte sofort an einer Flasche – und in dem sich Wacholder mehr in Richtung Zitrone bewegt. Und eigentlich habe ich damit schon alles über das Bier von Butcher’s Tears gesagt.
Butcher’s Tears ist eine Mikrobrauerei im Süden von Amsterdam. 2013 gegründet, sitzt sie in einem ehemaligen Fabrikgebäude, in der alten Garage daneben stehen die Sudkessel. Der Brauer Eric Nordin stammt aus Skandinavien, er experimentiert viel, lässt sich dabei aber auch von alten Schriften über fast vergessene Bierstile inspirieren. Ob „Princesse Bier“ – ein historisches Amsterdamer Weizenbier –, IPA oder englisches Bitter. Er versucht sich an allem, vertraut dabei auf seine eigenen Hefekulturen und lange Reifung.
Eric Nordins „Lipreader“ – der Name bleibt mir zunächst ein Rätsel – ist ein skandinavisches Landbier. Es hat viel von einem Bockbier, weil aber neben Gersten- noch Roggenmalz in ihm steckt, hat es einen recht voluminösen, sättigenden Körper. Auch der Schaum sitzt deshalb sehr sahnig auf dem kastanienbraunen Bier, und nach dem ersten Schluck will ich darin einen Blaustich erkennen. Einfach, weil die nur den Gaumen schmeichelnde, schwache Kohlensäure das Bier ölig und ätherisch wirken lässt und sich insgesamt Wacholder breitmacht, mit dem dieses Bier auch gebraut wurde.
Lipreader 2019, Butcher’s Tears Amsterdam. 7 % vol.
Es ist eben exakt der Geschmack dieser frisch getrockneten, glänzend blauschwarzen Wacholderbeere: Er liegt mir noch lange angenehm im Mund und leicht betäubend auf den Lippen. Und so verstehe ich letztlich auch, dass dieses Wacholderbier einen ganz passenden Namen trägt.
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