Jörn Kabisch Angezapft: Ein Bier, das Wein sein will
Vorweg: Dieses Bier perlt erst einmal müde. Es ist wie der Restapplaus, der im Theater noch von einigen Sitzen kommt, wenn das Ensemble das letzte Mal von der Bühne gegangen ist. Ein Bier, das beginnt, wie viele andere enden, und nur noch Schalheit verspricht: Man muss sich zwingen, da dranzubleiben. Es lohnt sich.
Eigentlich will dieses Bier ein Wein sein, Barley Wine ganz genau, also Gerstenwein. Hierzulande ist dieser Bierstil ein Exot, in England und in den USA kennt man ihn besser. Einst galt er als englische Antwort auf französischen Beaujolais oder Bordeaux.
Barley Wine ist der Versuch, Wein aus Malz herzustellen und nicht aus Trauben. Ursprünge dessen findet man schon bei den alten Griechen, in der neueren Geschichte haben sich dafür aber die Angelsachsen begeistert, die vom Whiskey bis zum Black Pudding Gerste schon in so ziemlich alles gemischt haben, was sie genießbar finden.
Und weil es häufig Zwist mit Frankreich gab und deshalb der Wein auf der Insel rar wurde, verfielen die Brauer auf die Idee, dem vor allem im 17. Jahrhundert weinversessenen Adel ein Substitut zur Verfügung zu stellen. Rotes Bier mit wenig Kohlensäure und weinähnlichem Alkoholgehalt bis zu 16 Prozent. Hopfen war darin kaum enthalten.
Heutzutage werden bei der Produktion von Barley Wine Verfahren aus der Vinifikation genutzt. Bei der Vergärung werden zusätzlich Weinhefen eingesetzt, außerdem dürfen die Biere über Jahre im Fass reifen, was eben dem Kohlesäuregehalt nicht so zuträglich ist. So aber werden Gerbstoffe gelöst, die dem Bier einen Touch von Barrique geben sollen. Hopfen darf man bei modernen Vertretern durchschmecken, dafür steht beispielhaft das „Old Foghorn“ der Anchor Brewing Company in San Francisco, das 1976 auf den Markt kam.
Der Barley Wine mit dem Restapplaus stammt dagegen vom Niederrhein. Dort, in Voerde, sitzt das Brauprojekt 777, das immer wieder mit ausgezeichneten Bieren auffällt.
Barley Wine, Brauprojekt 777, 11 Vol.-%
11 Prozent Alkohol stecken in einer bauchigen Rotweinflasche, das dunkelrote Bier darin ist zwei Jahre auf Eichenholz gelagert, das Etikett nennt Weißweinhefe als weitere Zutat. Es schmeckt vor allem alkoholisch-weinig, wegen des süß-fruchtigen, leicht brotigen Geschmacks, habe ich zuerst irrtümlich an Roggenbier gedacht.
Das Bier entwickelt kaum Schaum, und die Vanille- und Karamelltöne, nach denen es duftet, setzen sich auch beim Trinken fort. Die Holzaromen sind angenehm eingebettet. Der Abgang ist nur leicht bitter, etwas eisenhaltig und ziemlich weinig. Und schon beim zweiten Schluck sorgt der Restapplaus für Frische.
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