■ Scheibengericht: Joelle Leandre
Sincerely (Plainisphare Pl 1267-92/1994 – 1267 Vich, Schweiz)
Die Chanteuse und Baßakrobatin Joälle Léandre ist die Femme fatale der europäischen Freemusic. Ihr aktuelles Soloalbum, das einen Rückblick auf ihr Tun der letzten zehn Jahre wirft, beginnt mit langen ruhig gestrichenen Tönen. Ein gedämpft sirenenhafter Gesang kommt dazu und taucht die Musik in eine Traum-Atmosphäre. Doch die Stille währt nicht lange. Schon bald beginnen die Saiten zu surren und zu brummen, Flageoletts und Obertöne kommen dazu, es scharrt und schnarrt.
Theatralischer Gesang steigert sich zu wilder Exzentrik. Joälle Léandre hat genau Buch geführt und jedem Stück ein besonderes Gepräge gegeben, was Spieltechnik, Klanglichkeit und Duktus anbelangt. Mal trommelt sie auf dem Holzkorpus ihres Instruments, mal läßt sie den Bogen auf den Saiten tanzen, um plötzlich – eine Nummer später – in swingende „walking bass“-Läufe überzugehen und mit jazzmäßigem Scat-Gesang ein Zwiegespräch mit sich selbst zu beginnen. Improvisiert wird dabei wenig. Das meiste ist fein abgezirkelt und vorgeplant. Die Exzentrikerin hat sich selbst an die Kette gelegt, um mit intuitiver Präzision feinziselierte Maßwerke zu fertigen. Eine knappe Stunde, und Joälle Léandre ist durch. Dann hat sie das gesamte Vokabular zeitgenössischen Baßspiels durchschritten, was sich als weit unterhaltsamer erwies, als man gemeinhin vermuten würde.
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