Jobcenter bekommen schlechte Noten: Verloren in weiten Amtsfluren
Laut einer Umfrage ist ein Sachbearbeiter im Jobcenter nur für drei Prozent der Langzeitarbeitslosen telefonisch gut erreichbar. Jobcenter kontert mit Zahlen, nach denen zwei Drittel sehr zufrieden sind.
Im Februar waren laut der Bundesagentur für Arbeit in Berlin 242.052 Menschen arbeitslos gemeldet, 3.400 mehr als im Vormonat. Im Vergleich zum Februar 2008 sank die Zahl hingegen um 10.238. Die Arbeitslosenquote nahm um 0,2 Prozentpunkte auf 14,4 Prozent zu. Sie lag damit aber immer noch 0,6 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. "Wir merken Anzeichen der Krise auf dem Arbeitsmarkt", sagte Arbeitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei). Aber es gebe auch "gute Chancen gegenzusteuern". Sie appellierte an die Unternehmen, nicht zu kündigen, sondern gegebenenfalls Kurzarbeit zu beantragen und die Zeit für Qualifizierungsmaßnahmen zu nutzen. Gespräche mit Kammern, Verbänden und Gewerkschaften hätten gezeigt, dass insbesondere kleine und mittelständische Betriebe Bedarf an Informationen über betriebsnahe Qualifizierungen haben. DDP
Der Chef des Jobcenters für Charlottenburg-Wilmersdorf klang angesichts der geballten Kritik geknickt. "Ich bin etwas betroffen", sagte Johannes Langguth, als sich die Debatte im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses am Donnerstag dem Ende zuneigte. Bis zu eben dieser Anhörung zur Arbeit der Jobcenter habe er gedacht, es gebe inzwischen weniger Beschwerden. Eine Umfrage und Erfahrungen von Abgeordneten aller Fraktionen zeichneten ein anderes Bild.
Erschreckend waren vor allem zwei Zahlen, die das Berliner Arbeitslosenzentrum (Balz e.V.) bei einer sechswöchigen Beratungs-Tour durch Jobcenter ermittelte. Dabei meinten weniger als drei Prozent von über 900 Befragten, dass ihre Sachbearbeiter telefonisch gut erreichbar seien. Und nur zehn Prozent bejahten die Frage, ob sie klare Auskünfte erhielten (alle Ergebnisse unter www.beratung-kann-helfen.de). "Die Umfrage ist natürlich nicht repräsentativ", sagte Balz-Vorsitzender Frank Steger, sie belege aber oft gehörte Klagen.
Das Arbeitslosenzentrum, das von der evangelischen Kirche getragen wird, war wie schon 2007 mit einem Bus von Jobcenter zu Jobcenter gefahren und hatte Beratung angeboten. Die wurde laut Steger gerne angenommen angesichts von langen Wartezeiten in den Jobcentern und Bescheiden, "die Nichtjuristen kaum verstehen können".
Den einzelnen Jobcentern und Chefs wie Langguth - der hatte die Balz-Leute bei ihrer Tour begrüßt und zu einem Gespräch eingeladen - mochte Steger gar nicht die eigentliche Schuld daran geben: "Die Mitarbeiter haben bis zur Oberkante Unterlippe zu tun, die Aktenberge sind riesig." Die Jobcenter würden von der Politik allein gelassen. Letztlich sind sie es, die Vorgaben der Gesetze und der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg umsetzen und mit vereinheitlichten Formularen zurecht kommen müssen.
Einzelne Jobcenter greifen dabei zur Selbsthilfe: Langguths Kollege aus Friedrichshain-Kreuzberg, Stephan Felisiak, berichtete von hauseigenen Extra-Berechnungen, die man den schwer verständlichen Bescheiden beilege. "Ich finde das sehr begrüßenswert", sagte Steger der taz - aber für noch besser hielte es, wenn sich dafür nicht erst Einzelne engagieren müssten.
Was die Resonanz seiner Jobcenter-Kunden angeht, legte Felisiak allerdings ganz andere Zahlen vor als das Arbeitslosenzentrum. Nach seinen Zahlen verteilten nur sieben Prozent der Befragten in puncto Zufriedenheit die Schulnoten fünf und sechs. Fast zwei Drittel hingegen hätten eine Eins oder Zwei vergeben.
Wie es generell mit den Jobcentern weiter geht, wussten am Donnerstag weder die Regionaldirektion der Arbeitsagentur noch die zuständige Senatsverwaltung genau zu sagen. Denn noch ist ein Bundesgesetz in der Schwebe, dass die Jobcenter neu ordnen soll. Das ist nötig, weil das Bundesverfassungsgericht die vermischten Zuständigkeiten der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen für verfassungswidrig erklärt und eine Neuregelung gefordert hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag