■ Jetzt wird wieder studiert: War da was?
An der Freien Universität ist der Streik seit gestern beendet. Nach drei Wochen wollen die Studierenden den Lehrveranstaltungen nicht mehr fernbleiben. An einem Institut sollen die Seminare fünf Minuten nach der Aussetzung des Streiks wieder gefüllt gewesen sein. War da was? Was sollte mit dem Streik erreicht werden? Auf der materiellen Ebene wurde nichts erreicht. Der Hochschulstrukturplan ist weder vom Tisch, noch reagierten Uni-Leitung oder Wissenschaftssenator auf die Forderungen mit irgendwelchen Zusagen. Die Studis haben die Wirkung ihres Streiks überschätzt. Sie vergaßen, daß sie keine Produktionsmittel lahmlegen. Streik tut niemandem weh – außer wenn die Medizin blockiert würde. Aber davor schrecken die Studis gerne zurück. Immer wenn's wehtut, wenn Türklinken abgeschraubt, Institute blockiert oder gar die Forschung lahmgelegt wird, kommt die Stunde der Zauderer.
Natürlich wollte an den Unis kaum einer den „harten“ Streik. Der Streik hatte eine relative Mobilisierung erreicht. Aber nie fand er breiten Rückhalt, schon gar keine aktive Teilnahme. 5.000 demonstrierende StudentInnen, bei (nominell) 145.000 Eingeschriebenen – der Hund ist gewissermaßen hinter dem Ofen hervorgekrochen. Nun liegt er davor. Aber das ist ja schon was, wenn man mal ganz ehrlich ist. Immerhin wissen nun fast alle Berliner StudentInnen, was der Hochschulstrukturplan ist. Vor ein paar Wochen war das noch ganz anders. Studienplatzabbau, Zweiteilung des Studiums, Regelstudienzeiten und „quantitativ-strukturelle Eckdaten“ – das sind alles keine böhmischen Dörfer mehr. Viele wissen jetzt, daß künftig Berlins Abgeordnete bestimmen sollen, wie viele Stunden für welche Prüfungen zu büffeln sind.
Doch genau hier ginge es ja erst richtig los. Daß man sich löst vom buchhalterischen Strukturplan und nach der Bildungsidee sowie der gesellschaftlichen Aufgabe der Unis fragt: Wie muß eine Hochschule aussehen, wenn dort Antworten auf die ökologischen und politischen Fragen der Zukunft gefunden werden sollen? Das hat den Streik auf die Tagesordnung an den Berliner Unis gesetzt, nicht mehr und nicht weniger. Doch wie viele Studierende wollen sich ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen? Der junge Habermas fand in den Sechzigern heraus, daß es einen Anteil von rund acht Prozent politisch und intellektuell aktiver Studierender gebe. So weit sind die Berliner Studierenden nach drei Wochen Streik auch im Juni 93. Christian Füller
Bericht Seite 19
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