■ Jetzt endlich zählt Österreich zu den reichsten Ländern der Welt. Doch was die Bevölkerung regiert, ist der Hass: Wohlstands-Verwahrlosung
Österreich ist ein reiches Land. Natürlich gibt es auch hier Leute, die ausweglos in der Armut festsitzen: Arbeitslose, ledige Mütter, kinderreiche Familien, Mindestrentner. Aber nicht sie waren es, die am 3. Oktober die FPÖ zur zweitstärksten Partei gemacht haben, nicht sie, die ein berechtigtes Interesse daran haben, dass sich an ihrer soziale Lage und der politischen Situation etwas ändert. Nein, nicht die Benachteiligten in unserer Gesellschaft haben die FPÖ gewählt, sondern die gut verdienenden Bestien des Anstands, denen ihr eigener Vorteil alles ist; nicht die Armen, sondern jene, die über dem Anblick von Armen, Schwachen, Strauchelnden in Wut geraten: Ihr Hass gilt jedem, der ihren Wohlstand zu gefährden scheint oder sie durch seine bloße Existenz daran erinnert, dass auch sie selber einmal stürzen könnten.
In Österreich ist nach dreißig Jahren sozialdemokratischer Regierung und nach über hundert Jahren gewerkschaftlicher Mitbestimmung der Zusammenhang zwischen sozialem Wohlstand und politischer Verwahrlosung nirgendwo so offenkundig wie im reichen Westen des Landes: in den am Tourismus reich gewordenen und mit Parolen gegen die Ausländer von der FPÖ eroberten Bundesländern Salzburg, Tirol, Vorarlberg.
Gut verdienende Angestellte möchten am liebsten den Polizeistaat wieder einführen, nur damit sie mit ihren genagelten Schuhen durch saubere, von Obdachlosen gesäuberte Städte klappern können; voll im Fitness-Kampfanzug adjustierte Proletarier von gestern geifern über die „Sozialschmarotzer“, zu denen mancher ihrer früheren Kollegen abgesunken ist, und treten nach den Bettlern, die ihnen im Weg stehen; und ihre feschen Kinder tanzen sich in der Disco zu Gypsy Kings in Trance, ärgern sich aber darüber, dass schon wieder so viele Zigeuner in ihrer reizenden kleinen Stadt zu sehen sind.
Diese soziale Wohlstands-Verwahrlosung hat es in Österreich schon lange gegeben. Bisher war sie aber von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften sowohl zuverlässig gefördert als auch am geifernden, tretenden Exzess gehindert worden. Damit die österreichischen Arbeitnehmer jedes Jahr für eine halbe Stunde weniger Arbeit ein bisschen mehr verdienten, haben sie sich nie aus ihrer Vereinzelung herausbequemen und zur Solidarität mit anderen, mit Beschäftigten aus anderen Betrieben, Branchen, Regionen fähig erweisen müssen. Was sie zu Recht erreichten, ist für sie, aber ohne ihr Zutun als Ergebnis geheimer Absprachen erreicht worden: So hat die spezifisch österreichische Sozialpartnerschaft, die dafür sorgte, dass der soziale Frieden erhalten blieb, zugleich dazu beigetragen, dass eine Bevölkerung, der es materiell immer besser ging, immer weiter in ihrem millionenfachen Egoismus verrohte.
Jetzt endlich zählt Österreich zu den reichsten Ländern der Welt – und was die Bevölkerung regiert, ist der Hass.
Niemals vorher hatten so viele Österreicher einen so gesicherten Wohlstand – und was sie ersehnen, ist die Hetzjagd auf Schwächere, der polizeilich genehmigte kleine Bürgerkrieg, die amtlich geförderte Barbarei. Verstört fragen sich die politischen Kommentatoren vor allem im Ausland, wie es möglich sein kann, dass ausgerechnet in einem ökonomisch so gefestigten Land eine rechtsradikale Partei derart grandios triumphieren konnte.
Wer sich darüber wundert, hat noch den überkommenen Rechtsradikalismus und dessen straßenbeherrschenden Mob vor Augen. Doch gibt es in Europa längst einen Extremismus der wohlanständigen und wohl versorgten Leute, deren neuer, vorwiegend ökonomisch geformter Rassismus alte Strukturen durchaus zerschlagen möchte. Ein rücksichtsloser Egoismus, wie ihn in Italien die Lega Nord mit allerlei folkloristischem Brimborium als ihre Art von Heimatliebe inszeniert, hat gerade auch in Salzburg oder Vorarlberg seine Traditionen. Natürlich ist einem Land, das vom Tourismus lebt, der alte, in Mythen des Blutes brodelnde Rassismus nicht mehr angemessen. Stattdessen wird wie im Norditalien der Lega Nord auch in Salzburg und Tirol, in Bayern und der Schweiz, überall in den reichen Regionen der Alpen von vielen ein neues Rassemerkmal zur Unterscheidung der Menschen in gute und schlechte gebraucht: das Rassemerkmal des Geldes. Wer es hat, der ist kein Fremder, wem es abgeht, der wird zum Fremden, und wäre er auch von hier.
An die fünfzig Prozent hat die FPÖ ausgerechnet im weltberühmten Kitzbühl erreicht – in einem Zentrum des Wintersports, in dem alles zusammenbrechen würde ohne die ausländischen Hotelbediensteten und kein Wohlstand je zustande gekommen wäre ohne die Touristen aus allen möglichen Ländern.
Was ist da geschehen? Offenbar sind für die smarten Ausländerfeinde von Kitzbühl, die sich ihren Lifestyle von niemanden gefährden lassen möchten, jene keine Ausländer, die brav putzen und brav blechen. Da passt es gut dazu, dass die FPÖ, so nationalistisch sie tut, bestimmte Österreicher, etwa die angeblichen „Sozialschmarotzer“, vorsätzlich aus der eigenen Nation verstößt und zu Fremden im eigenen Land macht. All das: die gut situierte Verwahrlosung, die hochanständige Bestialität, der ökonomische Rassismus ist nichts Neues. Neu ist, dass sich das Rowdytum der tüchtigen Leute in Österreich jetzt parteipolitisch mobilisiert. Von der Lombardei, wo die Lega Nord herzlich grüßen lässt, bis nach Bayern, wo der Ministerpräsident es schon gar nicht mehr erwarten kann und den Nachbarn ungefragt empfiehlt, Haider endlich in die Regierung zu nehmen, bis hinüber zu einem sehr reichen Schweizer, der sich als Held der kleinen, anständigen Leute profiliert, zeichnet sich da ein regionales Bündnis ab, dem verschiedene Parteien angehören. Was sie wirklich eint, ist der zähnefletschende Egoismus derer, die etwas erreicht haben und – mag darüber die ganze Welt auch in Scherben gehen – nichts davon wieder hergeben möchten.
Nein, die alten Zeiten kommen nicht wieder, und vor der Wiederkehr des Nationalsozialismus in Österreich braucht sich niemand zu fürchten. Aber die Rohlinge des Wohlstands, das haben sie uns deutlich gezeigt, sollte man auch nicht unterschätzen: Um das zu schützen, was ihnen teuer ist, sind sie bereit, so ziemlich alles preiszugeben, was uns an zivilisatorischen Errungenschaften sicher schien. Das Gefährliche an Haider ist nicht, wie die internationale Presse fälschlich annimmt, dass er ein Ewiggestriger wäre. Sein Populismus nährt sich zwar auch an den Ressentiments von gestern, der Neid aber, dem er Stimme gibt, ist ganz von heute. Und er hat in Europa einige Zukunft, nicht nur in Österreich.
Karl-Markus Gauß
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