: Jenseits aller Empathie
■ Simulierte Nähe: „Talk Radio“ in der Kölner Theater-Schlosserei
Also zum Lachen war da gar nichts in diesen 90 Minuten Theater über den fortschreitenden Verbal-Amok eines durchschnittlich abgezockten Privatsenders in häßlicher Eintracht mit seinem durchschnittlich zerrüttetem Publikum.
Die Paranoia solcher Schreckensvision aus dem Amerika von 1987 (Autor: Eric Bogosian) ist durch die schrille Wirklichkeit von RTL und anderen reality-Anbietern längst eingeholt. Da nimmt sich der Gag des Regisseurs und Moderatormimen Heinrich Pachl – die im Sponsor-Vertrag mit dem Schauspiel Köln über Jahre verbürgte Reklame für Reemtsma- Cancer-Sticks, nun tatsächlich in allerhand Zigaretten-Packungen ins Publikum zu schmeißen – leider, leider, mehr als trostlos aus. Da wir, die privilegierten Theaterzuschauer, kaum identisch sein dürften mit den reality-show-Versessenen Erniedrigten und Beleidigten, nährt sich unser voyeuristisches Amüsement aus der Erleichterung, jener kaputten Zielgruppe nicht anzugehören, die sich im Stück unglaublich masochistisch den zynischen Kommentaren des abgefeimten Radiomoderators freiwillig aussetzt. Er, der indolente Talker vom Dienst, seine quietschend dümmliche Assistentin, sein hyperaktiver Produzent und der supercoole, permanent Kaugummi kauende Techniker bedienen den aufgestauten Geständnisdrang von unterschiedlichst gestörten Anrufern. Da gibt es die larmoyante Hausfrau, das süchtige Kid aus der Unterschicht, ein weinendes Mädchen, überhaupt jede Menge underdogs. Wie kaputt auch ihre Äußerungen, wie beklemmend ihre rassistischen Sprüche – die Mannschaft im Studio reagiert immer gleich routiniert, mal gelangweilt, mal angeekelt, immer jedoch jenseits aller Empathie.
Und diese Sorte Kommunikation funktioniert prima. Gerade weil auf die verletzende Schadenfreude des Moderators so unendlich Verlaß ist, bleibt die Einschaltquote oben und die Werbekundschaft stabil. Der gewinnträchtige Abgrund solcher Billigstproduktionen wird auch in der Kölner Inszenierung unschön deutlich, so daß einem das Blut in den Adern gefrieren möchte. Aktualisiert durch sehr deutsche Anruferbekenntnisse und -fragen – „Wir von der Zeche Monopol in Bergkamen wünschen uns ...“ –, quittiert Heinrich Pachl die Desorientierung der Modernisierungsverlierer mit gelangweiltem Rauskicken aus der Sendeleitung.
Insofern ist solcher Hohn aufs marktwirtschaftliche Elend sehr viel konturierter als die dahinplätschernde Ignoranz der meisten unserer Medien. Gott sei Dank unerlöst durch ein finales Attentat, welches im Stücktext den fiesen Moderator noch zur Strecke bringt, bleibt der in Köln am lukrativen Moderatorensessel kleben. Und so talkt er dahin ... Marianne Bäumler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen